Viele Menschen haben immer wieder Rückenschmerzen. Meist lässt sich ihre Ursache nicht genau feststellen. Wenn die Schmerzen jedoch ins Bein ausstrahlen, kann das auf einen Bandscheibenvorfall hinweisen.
Die Bandscheiben befinden sich zwischen den Wirbelkörpern der Rückenwirbel. Sie bestehen aus einer elastischen Hülle aus Knorpelfaser und einem gelartigen Kern (Gallertkern). Bei einem Bandscheibenvorfall tritt Bandscheibengewebe zwischen den Wirbelkörpern hervor. Dieses „vorgefallene“ Gewebe kann auf die Nerven im Bereich der Wirbelsäule drücken und sie reizen.
Ein Bandscheibenvorfall kann sehr unangenehm sein. Die Beschwerden lassen aber bei den meisten Menschen innerhalb von sechs Wochen von selbst nach. Auch führt nicht jeder Bandscheibenvorfall zu Beschwerden.
Ein Bandscheibenvorfall kann ganz plötzlich einen heftigen „einschießenden“ Schmerz auslösen. Bei einem Vorfall im Bereich der Halswirbelsäule können die Schmerzen in die Arme ausstrahlen. Ein Vorfall in der Brustwirbelsäule kann im oberen Rücken zu Schmerzen führen. Bandscheibenvorfälle treten aber meist im unteren Rücken auf, im Bereich der Lendenwirbelsäule. Deshalb geht es hier vor allem um diese Art von Bandscheibenvorfällen.
Bandscheibenvorfälle im Bereich der Lendenwirbelsäule sind die Hauptursache für Ischialgien (umgangssprachlich „Ischias“). Als Ischialgie werden Schmerzen bezeichnet, die ins Bein ausstrahlen. Neben den typischen ausstrahlenden Schmerzen kann sich ein Bandscheibenvorfall auch durch Schmerzen im unteren Rücken bemerkbar machen.
Manchmal kommt es neben den Schmerzen auch zu Gefühlsstörungen im Gesäßbereich, zu Lähmungserscheinungen beispielsweise in den Beinen oder Störungen der Blasen- oder Darmfunktion (Kauda-Syndrom). Diese Symptome weisen auf ein ernsthaftes Problem wie eine Nervenschädigung hin.
Nicht jeder Bandscheibenvorfall ist mit Beschwerden verbunden. Das zeigen Studien, in denen Erwachsene ohne Rückenschmerzen mittels Kernspintomografie untersucht wurden: Etwa 30 von 100 Studienteilnehmenden im Alter zwischen 20 und 30 Jahren hatten eine vorgewölbte Bandscheibe – aber keine Beschwerden. Bei älteren Teilnehmenden ab 50 Jahren hatten ungefähr 40 von 100 trotz vorgewölbter Bandscheibe keine Beschwerden.
Bei den meisten Menschen sind Bandscheibenvorfälle die Folge von Verschleiß. Denn mit den Jahren nimmt die Elastizität der Bandscheiben ab: Sie verlieren Flüssigkeit, werden spröde und rissig. Solche Veränderungen sind Teil des normalen Alterungsprozesses – der allerdings individuell verschieden verläuft. Sehr selten kann auch ein Unfall oder eine schwere Verletzung zu einem Gewebevorfall führen.
Die Bandscheiben wirken wie Stoßdämpfer zwischen den einzelnen Wirbeln. Wenn eine Bandscheibe Belastungen der Wirbelsäule nicht mehr so gut abfedern kann, kann es zu einem Bandscheibenvorfall kommen. Die Schmerzen entstehen vermutlich deshalb, weil Bandscheibengewebe auf einen Nerv im Bereich des Rückenmarks drückt.
Gesunde Bandscheibe und Bandscheibenvorfall (Querschnitt durch die Lendenwirbelsäule – Ansicht von oben)
Wenn vorgewölbtes oder ausgetretenes Bandscheibengewebe eine Nervenwurzel im Bereich der Lendenwirbelsäule reizt, führt das häufig zu den typischen Ischiasschmerzen. Die Nerven, die im Wirbelkanal verlaufen (Spinalnerven), verbinden sich im Becken zum Ischiasnerv, der die Beine versorgt. Ein gereizter Ischiasnerv kann neben Schmerzen auch Kribbeln und Taubheitsgefühle auslösen.
Verlauf der Spinal- und der Ischiasnerven
Fachleute unterscheiden bei Bandscheibenvorfällen folgende Veränderungen:
Arten von Bandscheibenvorfällen: Vorwölbung, Vorfall und Ablösung (Querschnitt durch die Lendenwirbelsäule – Ansicht von oben)
Der Vorfall und die Ablösung von Bandscheibengewebe führen häufiger zu Beinbeschwerden als eine Vorwölbung. Die Art des Bandscheibenvorfalls kann für die Wahl der Behandlung und den Krankheitsverlauf von Bedeutung sein.
Schätzungsweise 1 bis 3 % der Menschen in westlichen Industrieländern haben Kreuzschmerzen, die von einem Bandscheibenvorfall herrühren. In der Altersgruppe über 30 Jahre treten diese Beschwerden häufiger auf. Bei Männern sind sie ungefähr doppelt so häufig wie bei Frauen.
Kreuzschmerzen lassen bei etwa 90 von 100 Menschen innerhalb von sechs Wochen von selbst nach. Vermutlich beseitigt der Körper mit der Zeit einen Teil des ausgetretenen Gewebes – oder es verschiebt sich so, dass die Nerven nicht mehr gereizt werden.
Ein schmerzhafter Bandscheibenvorfall kann sehr unterschiedlich verlaufen: Die Schmerzen können plötzlich einsetzen und rasch von selbst wieder verschwinden. Manche Menschen haben über längere Zeit dauerhaft Schmerzen, andere in Schüben immer wieder.
Wenn die Beschwerden länger als sechs Wochen anhalten, ist es unwahrscheinlich, dass sie von allein wieder verschwinden. Wenn sie auch nach zwölf Wochen noch nicht besser geworden sind, werden sie als chronisch bezeichnet.
Zur Abklärung von akuten Rückenschmerzen fragt die Ärztin oder der Arzt nach Beschwerden und führt eine körperliche Untersuchung durch. Weitere Untersuchungen wie eine Magnetresonanztomografie (MRT) sind nur nötig, wenn
Die Ärztin oder der Arzt hat bei Rückenschmerzen oft gute Gründe, erst einmal keine aufwendigen Untersuchungen zu veranlassen. Denn bildgebende Untersuchungen können eine vermeintliche Ursache für die Kreuzschmerzen zeigen, die tatsächlich nichts mit den Beschwerden zu tun hat. Eine solche Fehldiagnose kann wiederum eine überflüssige Behandlung nach sich ziehen, die vielleicht sogar schadet.
Selbst heftige Ischiasbeschwerden können mit der Zeit von allein wieder abklingen. Bis dahin können verschiedene schmerzlindernde Behandlungen helfen, mit den Beschwerden zurechtzukommen und aktiv zu bleiben, so gut es geht.
Besonders wenn Beschwerden länger andauern und chronisch werden, können sogenannte multimodale Behandlungsprogramme sinnvoll sein, bei denen man von Fachleuten aus verschiedenen therapeutischen Bereichen betreut wird, etwa aus der Medizin, Physiotherapie und Psychologie. Sie unterstützen dabei, in Bewegung zu bleiben, mit den Schmerzen umzugehen und vielleicht auch neue Verhaltensweisen zu lernen und zu üben.
Wenn starke Ischiasbeschwerden durch einen Bandscheibenvorfall trotz schmerzlindernder Behandlungen länger als 6 bis 12 Wochen andauern, kann eine Operation infrage kommen. Sie soll den betroffenen Nerv entlasten.
Diese Entscheidungshilfe kann dabei helfen, das Für und Wider einer Behandlung gemeinsam mit der Ärztin oder dem Arzt sorgfältig abzuwägen.
Eine Operation ist sofort nötig, wenn die Nerven so stark beeinträchtigt sind, dass Lähmungserscheinungen beispielsweise an den Beinen auftreten oder auch, wenn die Blase oder der Darm nicht mehr richtig funktionieren. Letzteres sind Zeichen eines sogenannten Kauda-Syndroms. Das ist ein besonderer Notfall, kommt jedoch nur selten vor.
Ziele einer Rehabilitation sind, Beschwerden und Beeinträchtigungen infolge eines Bandscheibenvorfalls zu verringern, die Rumpfmuskulatur zu stärken und so die Wirbelsäule zu stabilisieren.
Eine Rehabilitation kann zum Beispiel eine Rückenschule, Dehn- und Entspannungsübungen sowie Krafttraining beinhalten. Sie kann außerdem die Motivation für regelmäßige Bewegung im Alltag unterstützen und Hilfen für den Umgang mit Schmerzen geben.
Rehabilitationsmaßnahmen kommen zum Beispiel für Menschen infrage, die wegen ihrer Rückenschmerzen nicht arbeiten können oder im Alltag stark eingeschränkt sind. Nach einer Operation kann eine sogenannte Anschlussheilbehandlung sinnvoll sein.
Es ist wichtig, Gelenke und Muskeln auch nach der Reha regelmäßig zu trainieren, um die erreichten Verbesserungen langfristig zu erhalten.
Die Hausarztpraxis ist meist die erste Anlaufstelle, wenn man krank ist oder bei einem Gesundheitsproblem ärztlichen Rat braucht. In unserem Thema „Gesundheitsversorgung in Deutschland“ informieren wir darüber, wie man die richtige Praxis findet – und mithilfe unserer Frageliste möchten wir dabei helfen, sich auf den Arztbesuch vorzubereiten.
Für Menschen mit chronischen Rückenschmerzen gibt es in Deutschland zahlreiche Angebote zur Unterstützung. Dazu gehören Selbsthilfegruppen und Beratungsstellen. Viele dieser Einrichtungen sind aber vor Ort unterschiedlich organisiert. Eine Liste von Anlaufstellen hilft, passende Angebote zu finden und zu nutzen.
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Aktualisiert am 19.04.2023
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