Es kann helfen, Dinge positiv zu sehen und optimistisch zu sein. Doch eine allzu rosarote Brille birgt auf Dauer auch Gefahren. Denn irgendwann schlägt die Realität zu.
Es gibt sie: Diese Menschen, die oft gut drauf sind, die in allem etwas Positives sehen, und für die das Wort Sorgen augenscheinlich ein Fremdwort ist. Zu oft will man sich davon eine Scheibe abschneiden, zu unterschiedlich sind aber die Menschen, als dass dies so einfach zu machen ist. Und ob diese Dauer-Optimisten tatsächlich immer so daueroptimistisch sind oder ob das auf Dauer so gut ist, steht nochmal auf einem anderen Blatt.
Optimismus ist etwas Kognitives
Viele Entscheidungen und der Umgang mit verschiedenen Lebenssituationen beruhen auf einem grundsätzlichen Optimismus. „Wie sollten wir sonst alt werden oder mit Funktionseinschränkungen umgehen oder warum hätte man sich sonst in ein Schiff gesetzt und versucht, andere Kontinente zu entdecken?“, formuliert Dr. Philipp Yorck Herzberg, Professor für Persönlichkeitspsychologie und Psychologische Diagnostik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. In gewissem Maße sei Optimismus sehr wichtig und nützlich, sowohl für die psychische Gesundheit, sagt der Experte, aber auch für die physische, wie verschiedene Studien – beispielsweise an Brustkrebspatientinnen – zeigen.
Optimisten seien tendenziell auch besser gelaunt, dabei sind gute Laune und Optimismus aber nicht miteinander gleichzusetzen, erklärt Herzberg: „Natürlich geht es ein wenig miteinander einher, aber Optimisten sind nicht immer gut gelaunt, es gibt auch welche, die eher wenig emotional sind. Laune ist ein Affekt, Optimismus eine Erwartungseinschätzung, etwas Kognitives.“
Schutz- und Motivationsfaktor
Sieht man allerdings alles und immer durch die rosarote Brille, dann werde der Optimismus dysfunktional, meint Herzberg. „Denn die Realität können wir nicht austricksen, und die holt einen irgendwann ein.“ Aber genau deshalb sei Optimismus in Maßen ein guter Schutz- und Motivationsfaktor. Er könne auch helfen, sich oder andere aus Stimmungstiefs zu holen. „Das wird schon“, „Guck einfach nach vorne“ – wer hat es nicht schon einmal gehört. „Das funktioniert so lange ganz gut, wie die negative Stimmung nicht dauerhaft ist, nicht im krankhaften Bereich“, sagt Herzberg.
Immer wieder die Realität prüfen
Bei depressiven Menschen etwa, erklärt Herzberg, sei der Effekt dieser künstlichen Stimmungsaufhellung eher negativ. Sie fühlten sich dann noch mehr unverstanden und noch mehr anders als die anderen. „Da funktioniert es eher, zu versuchen, den Pessimismus zu verringern, vereinfacht in etwa nach dem Motto ‚es ist nicht alles schwarz, es gibt auch ein Hellgrau oder Mausgrau‘.“
Und auch für alle (Zweck-)Optimisten sei es wichtig, immer wieder auch eine „Realitätsprüfung“ zu machen. Wenn man permanent Misserfolg hat, etwa bei einer Bewerbung, dann hilft ein „das wird schon“ irgendwann auch nicht mehr weiter und man müsse einmal schauen, was tatsächlich die Gründe dafür sind. Sind es Probleme in der Branche oder was ist der eigene Anteil daran?
Schlechte Laune auch zulassen
Dass man deswegen oder auch generell mal schlecht drauf ist, das ist völlig normal. Und das soll man auch zulassen, sagt Herzberg. „Wenn man Dinge dauerhaft in sich reinfrisst, dann führen diese negativen Emotionen auch zu einer Unterdrückung des Immunsystems. Das kann dann dauerhaft zu Krankheiten führen“, erklärt er. Wichtig sei, damit umgehen zu können, das nicht an anderen auszulassen, aber sich auch entschuldigen zu können, wenn man es doch mal getan hat. Und: Schauen, wo diese Stimmung herkommt und die Dinge sachlich ansprechen, wenn nötig.
Anderen niederschwellige Angebote machen
Hat man den Eindruck, Menschen aus dem eigenen Umfeld sind betrübt, tragen gerade etwas mit sich rum, dann könne man Hilfe anbieten, am besten in der Ich-Form: „Ich habe das Gefühl, da ist etwas. Magst du darüber sprechen?“ unterscheidet sich dabei enorm vom „Reiß dich mal zusammen“-Ansatz und sei die deutlich bessere Alternative, sagt Herzberg. „Das ist ein niederschwelliges Angebot, man muss aber auch akzeptieren, wenn es nicht angenommen wird.“ Wenn man chronisch unzufrieden ist, sei es wichtig, zu reflektieren, woran das liegt, das Gespräch mit anderen zu suchen und zusätzlich niederschwellige Angebote zu nutzen, wie „Yoga, Spazierengehen in der Natur, ein gutes Buch“.
„Sei positiv“ ist zu einfach
Oftmals kann man Menschen nur beneiden, die diesen Grundoptimismus in sich tragen. Doch wenn das so einfach wäre, könnten wir vermutlich alle etwas glücklicher sein. Menschen und soziale Schichten sind unterschiedlich. Probleme divers und nicht eins zu eins übertragbar. „Diese Fähigkeit sollte immer auch mit realistischer Reflexion einhergehen. Wer das nicht hat, der hat auch weniger Verständnis für andere“, sagt Herzberg und ergänzt: „Positive Ausstrahlung ist attraktiv und zieht an, aber das birgt auch die Gefahr von Oberflächlichkeit und weniger Empathie für andere.“