Was ein Burn-out ist, ist bekannt: Man fühlt sich ausgebrannt, leer, energielos – die Reißleine wurde gezogen. Das Phänomen Burn-on bezeichnet jetzt aber den Zustand, indem sich jemand befindet, der die Reißleine einfach nicht zieht.
Es geht weiter. Immer weiter. Der Job, die Familie, der Haushalt. Jeden Tag aufs Neue. Dabei wäre Innehalten mal so wichtig. Einfach aufhören, nichts tun, durchatmen, alles auf Null stellen, herausfinden, wo man überhaupt steht, wo es hingehen soll. Aber noch funktioniert ja alles. Man selbst auch. Dann kann es doch weitergehen.
„Nein“, sagen Experten. Kann es nicht. Soll es nicht. Denn jemand, der zwar funktioniert, jeden Tag wieder und wieder durchzieht, gleichzeitig aber unter Problemen wie Schlafstörungen, Nervosität, Freudlosigkeit leidet, befindet sich mitten drin in einem Prozess, der geradewegs auf einen Burn-out zusteuert. Nur, dass der Burn-out einfach nicht kommt. Der Moment, in dem alles kippt und die Seele den Nullpunkt erzwingt. Beim Burn-on brennt alles weiter. Aber es ist nicht das lodernde Feuer des Antriebs, sondern das, das von innen auszehrt. Es ist die chronische Überlastung, die mit Burn-on seit einiger Zeit einen Namen hat. Geprägt haben den Begriff Timo Schiele, leitender Psychologe der Psychosomatischen Klinik Kloster Dießen am Ammersee, und Bert te Wildt, Chefarzt der Klinik. Sie haben gemeinsam das Buch „Burn on – immer kurz vorm Burnout“ geschrieben, das 2021 erschienen ist.
Was führt zur psychischen Überlastung?
Erkannt haben die beiden Spezialisten diese Form der Erschöpfungsdepression, weil ihnen aufgefallen war, dass Patienten nicht in der Lage waren, trotz Erschöpfung die Reißleine zu ziehen. In einem Interview sagte Bert te Wildt, dass eine Patientin nach ihrer Therapie schnell wieder weitermachen wollte – obwohl gerade das zu ihren Problemen geführt hatte.
Grob gesagt ist es das Hamsterrad, das nicht mehr aufhört, sich zu drehen. Überwiegend tritt der Burn-on zwar im beruflichen Kontext auf – allerdings kann er sich auch im privaten Bereich bemerkbar machen. Die Voraussetzung ist ein hohes Leistungsprinzip. Dabei können sich Stolz über erreichte Ziele und Scham über nicht Erreichtes abwechseln. Egal, worum es geht, ob die Wohnung aufgeräumt, gesaugt oder geputzt werden muss. Zusätzliche Belastungen wie eine Pandemie oder hohe Energie- und Lebensmittelkosten, ein zu pflegender Angehöriger oder andere familiäre Schwierigkeiten rauben zusätzlich Energie. Die Familie braucht Aufmerksamkeit, das erfüllende Hobby kommt schon lange zu kurz. Für Joggen, Yoga oder lange Spaziergänge ist keine Zeit. Im Job warten jeden Tag neue Aufgaben, die aber irgendwie immer dieselben sind. Wenn dann noch erhofftes Lob auf den meisten Ebenen ausbleibt, Chefs und Vorgesetzte Leistung hinnehmen und lediglich kritisieren, wenn sie nicht stimmt, brennt die Flamme immer heißer. Die Work-Life-Balance ist schon lange nicht mehr da, alles wird dem Funktionieren untergeordnet. Betroffene machen weiter, weil sie dem Leistungsprinzip folgen und sich ihr großes Lob erhoffen.
Welche Symptome hat man bei einem Burn-on?
Die Symptome sind sehr ähnlich wie bei einem Burn-out: Es fehlt an Energie, die Freude am Job ist versiegt, Schlaflosigkeit, Stressgefühle, Reizbarkeit überwiegen. Dazu kommen wegen der hohen Anspannung meist auch körperliche Symptome wie Rücken- und Nackenverspannung und sogenannte Spannungskopfschmerzen. Auch wird der Kiefer häufig fest aufeinander gedrückt, nächtliches Zähneknirschen ist normal. Bluthochdruck ist ein häufiges Burn-on-Symptom. Allerdings schätzen Betroffene die Situation selbst meist nicht richtig ein. Sehen nicht, dass sie selbst auf die Bremse treten müssten. Sie jagen dem verlorenen Glück hinterher, unfähig, etwas zu ändern und sich selbst in die Problemanalyse mit einzubeziehen. Dabei wäre genau das der erste Schritt: Erkennen, was man selbst ändern kann, um seinem Hamsterrad zu entkommen.
Wie sieht die Diagnose beim Burn-on aus?
Der Burn-on gehört ebenso wie der Burn-out noch immer nicht zu den anerkannten Krankheiten. Zwar wird in beiden Fällen therapiert, allerdings nicht, um sie als Krankheit zu besiegen, sondern um sie als krankmachenden Faktor in den Griff zu bekommen. Der Grund ist ebenso einfach wie schwerwiegend: Auf die Liste der anerkannten psychischen Erkrankungen kommt nur, was in ein Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen, das ICD, sortiert ist. Was dort aufgenommen wird, bestimmt die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Und die kann im Burn-out noch kein greifbares Muster erkenne, weil die Symptome zu vielfältig und zu individuell sind. Und der Burn-on ist schlichtweg noch zu neu, zu wenig erforscht.
Was kann man gegen den Dauerstress tun?
Das Wichtigste: Bei sich selbst anfangen. Sich eingestehen, dass man sich einen großen Teil des Stresses selbst macht, indem man nicht innehält. Wichtig ist, sich für diesen Prozess Unterstützung zu holen und professionell zu lernen, die persönliche Stressschallmauer zu durchbrechen, um danach noch einmal bei Null anzufangen.