Es gibt Menschen, die wirft selbst die größte Krise oder ein schlimmer Schicksalsschlag nicht aus der Bahn. Für diese Gabe gibt es einen Namen: Resilienz. Doch was verbirgt sich hinter dem Begriff?
„Hinfallen. Aufstehen. Krone richten. Weitergehen.“ Motivierende Sprüche wie diesen gibt es zuhauf und für jede Lebenslage. Die Botschaft ist klar: Passiert etwas Schlimmes, darf man sich nicht entmutigen lassen. Das ist jedoch meist leider einfacher gesagt als getan. Nach schlimmen Ereignissen wie Trennungen, Kündigungen, Krankheiten oder dem Verlust geliebter Menschen fällt es schwer, nicht mit seinem Schicksal zu hadern oder gar daran zu zerbrechen. Voller Bewunderung, und vielleicht auch mit ein wenig Neid, schaut man dann auf andere, die in solchen Momenten ruhig bleiben und sich nicht unterkriegen lassen. Wie Stehaufmännchen rappeln sie sich nach jedem Unglück wieder auf. Diese seelische Widerstandskraft wird Resilienz genannt.
Resilienz – das Immunsystem der Seele
Das Wort leitet sich vom lateinischen „resilire“ ab, was so viel wie „abprallen“ oder „zurückspringen“ bedeutet. Ursprünglich stammt der Begriff aus der Materialkunde und bezeichnet die Eigenschaft von elastischen Stoffen, nach extremer Spannung wieder ihre ursprüngliche Form einzunehmen. Der Vergleich ist sehr treffend, denn: „Resilienz beschreibt die Fähigkeit einer Person, auf Belastungen, Herausforderungen, Anstrengungen oder Lebensveränderungen zu reagieren und in der Lage zu sein, ihr Verhalten anzupassen“, erklärt Dr. Sabine Köhler, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN). Aber wie kommt es, dass manche Menschen so unverwüstlich erscheinen und andere nicht? Erforscht wird das Thema bereits seit den 1950er Jahren. Damals startete die amerikanische Psychologin Emmy Werner eine Langzeitstudie. Werner und ihr Team begleiteten über 40 Jahre lang insgesamt 686 Kinder, die 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. Rund 30 Prozent dieser Kinder wuchsen in äußerst schwierigen Verhältnissen auf – das führte laut Werner jedoch nicht automatisch zu Elend und Misserfolg. Ein Drittel dieser Kinder entwickelte sich erstaunlich gut – vor allem dann, wenn sie eine Bezugsperson hatten, die ihnen als Vorbild diente.
Ist Resilienz angeboren?
Wie groß die seelische Widerstandsfähigkeit eines Menschen ist, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. „Genetische Disposition und Lernentwicklungserfahrungen im Lebenslauf, insbesondere die Prägung in den ersten Lebensjahren, haben Auswirkungen auf die Persönlichkeit jedes einzelnen“, sagt Sabine Köhler. „Das heißt, die Erfahrungen, die ein Mensch durch Erlebnisse in der Kindheit, in seiner Familie oder mit Bezugspersonen gemacht hat, bestimmen die Belastbarkeit und das Reaktionsvermögen der Menschen auf besondere Herausforderungen.“ Eine wichtige Rolle spielten dabei auch Selbstwirksamkeitserfahrung, durch erlebten Erfolg oder Misserfolg. „Menschen, die für sich positive Erfahrungen durch das Selbstmanagement von Situationen gemacht haben, gelten als resilienter. Sie nehmen die Situation in die Hand und vertrauen nicht auf die Lösung des individuellen Problems durch Dritte, haben eine hohe internale Kontrollüberzeugung.“ Die Grundsteine für Resilienz werden in den frühen Lebensjahren gelegt und neben positiven Erfahrungen spielen auch Traumata und Verlusterfahrungen eine entscheidende Rolle. „Das sind zum Beispiel insbesondere in früher Kindheit der Verlust primärer Bezugspersonen oder anhaltende Angst-Situationen“, so Köhler. Diese seien individuell einzuordnen und können sowohl durch angespannte familiäre Situationen bestimmt werden – reichten aber auch bis zu Verlusterfahrung durch existenzielle Not durch Krieg und Flucht.
Gute Nachricht: Resilienz kann man trainieren
Grundsätzlich zeigt sich immer wieder, dass die meisten Menschen in Krisensituationen erstaunlich resilient sind. Was jedoch vielleicht noch ein bisschen wichtiger ist: Es ist möglich, an seiner Resilienz zu arbeiten. Ähnlich wie das Immunsystem lässt sich nämlich auch die seelische Widerstandsfähigkeit trainieren. Die American Psychological Association (APA) hat dafür einen Zehn-Punkte-Plan entwickelt:
- Soziale Kontakte pflegen.
- Probleme nicht als unüberwindlich ansehen.
- Veränderungen als Teil des Lebens sehen.
- Ziele anstreben.
- Zum Handeln entschließen.
- Aktiv sein und Problemen nicht aus dem Weg gehen.
- Positives Selbstbild aufbauen.
- Perspektive bewahren.
- Optimistisch bleiben.
- Für sich selbst sorgen.
Grundsätzlich bietet jedes schwierige Lebensereignis neue Chancen, zu lernen. Wer versucht, solchen Situationen grundsätzlich aus dem Weg zu gehen, tut sich selbst auf Dauer keinen Gefallen. „Letztlich ist der Effekt dieser Trainings von der Gesamtsituation des Einzelnen abhängig“, weiß Sabine Köhler. „Zum Beispiel, in welcher Lebenssituation erfolgt diese Maßnahme oder wie sicher fühlt sich der Betroffene in der Übungssituation.“ Auf keinen Fall sollte man sich dabei selbst überfordern.
Wenn das schlechte Gefühl bleibt
Manchmal helfen keine schlauen Motivationssprüche, kein aufmunterndes Schulterklopfen und keine gut gemeinten Worte. Es ist keine Schande, sich einzugestehen, dass man mit einer Situation überfordert ist und Hilfe braucht. Wenn der Verdacht auf eine psychische Erkrankung besteht, sollte eine entsprechende Diagnostik erfolgen. „Die Diagnostik kann vor allem bei Fachärzten für Psychiatrie und Psychotherapie, bei Nervenärzten und psychologischen Psychotherapeuten erfolgen – häufig ist der Hausarzt der erste Ansprechpartner und berät über die jeweils regional etablierten fachärztlichen und psychotherapeutischen Diagnostikmöglichkeiten“, so die Vorsitzende des BVDN. „Für allgemeine Belastungssituationen gilt natürlich, dass der Stressor meist überwindbar ist, kurzfristig aber auch belastungsabhängige Beschwerden auftreten können, die nicht unbedingt zu einer fachärztlichen Behandlung führen müssen. Eine Grenze hierfür ist allgemein die Aussage, dass wir von einer Erkrankung ausgehen müssen, wenn die Beschwerden mehr als zwei Wochen in allen Lebensbereichen auftreten.“ Treten nur gelegentlich und nur in bestimmten Situationen psychische Beschwerden auf oder ist sich der Betroffene nicht sicher, ob er krank sein kann oder nur unter einer besonderen und vorübergehenden Belastung leidet, sind Beratungsangebote wie die Telefonseelsorge, Beratungsstellen der Kommune oder psychosoziale Beratungsstellen eine gute Anlaufstelle.