Gute Laune, schlechte Laune – wir alle kennen das Spektrum der Gemütszustände. Doch wo beginnt eine psychische Erkrankung? Und welche Krankheit könnte es sein? Wir stellen häufige Erkrankungen vor und erklären, warum es so wichtig ist, sich rechtzeitig Hilfe zu suchen.
Schwierige Phasen hat jeder mal im Leben. Oft helfen Gespräche mit Freunden, Familie oder auch einfach die Zeit dabei, darüber hinwegzukommen und wieder optimistisch nach vorn zu blicken. Doch manchmal ist es einfach zu viel. Wenn seelische Belastungen über längere Zeiträume wie einige Wochen anhalten, den Job, die Sozialfähigkeiten und den gesamten Alltag überschatten und beeinträchtigen, dann sprechen Mediziner von einer psychischen Erkrankung oder einer psychischen Störung.
Volkskrankheit „Psyche“
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. erfüllt mehr als jeder vierte Erwachsene in Deutschland im Zeitraum eines Jahres die Kriterien einer psychischen Erkrankung. Kein Wunder also, dass in diesem Zusammenhang immer häufiger von „Volkskrankheiten“ die Rede ist. Rund 18 Millionen Menschen in Deutschland sind Jahr für Jahr davon betroffen. Auch die Angehörigen leiden oft mit und haben mit den häufig einhergehenden Einschränkungen im sozialen und im beruflichen Leben zu kämpfen. Dabei gibt es klare „Spitzenreiter“ unter den Erkrankungen. Zu den häufigsten Krankheitsbildern zählen den Angaben zufolge Angststörungen, Depressionen und Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch. Damit gehören psychische Erkrankungen hierzulande nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen, bösartigen Neubildungen und muskuloskelettalen Erkrankungen zu den vier wichtigsten Ursachen für den Verlust gesunder Lebensjahre.
Fatale Folgen bis zum Suizid
Eine Zahl, die ebenfalls aufhorchen lässt: Mit einer psychischen Erkrankung verringert sich die Lebenserwartung um rund zehn Jahre im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung. Und im allerschlimmsten Fall können die Erkrankungen sogar zum Tod führen. Allein 2018 haben sich in Deutschland etwa 9.300 Menschen das Leben genommen – nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. lassen sich zwischen 50 und 90 Prozent der Suizide auf psychische Erkrankungen zurückführen.
Psychische Erkrankungen erkennen und Hilfe annehmen
Eine erschreckende Zahl, die wohl geringer ausfallen könnte, wenn die Erkrankungen rechtzeitig erkannt und behandelt werden. Denn noch immer scheint die Psyche ein Tabu-Thema zu sein. Den Angaben nach nehmen von den rund 18 Millionen Betroffenen pro Jahr nur rund 19 Prozent Kontakt zu einem Leistungsanbieter auf. Vor dem Hintergrund der hohen Zahl der Betroffenen allerhöchste Zeit, die weit verbreiteten Erkrankungen aus der Tabu-Zone zu holen und sie ins Gespräch zu bringen. Betroffenen Mut zu machen, sich Hilfe zu holen. Sich zum Beispiel dem Hausarzt anzuvertrauen, der eine wirksame Behandlung organisieren und auch Kontakte zu Fachärzten und Therapeuten herstellen kann. Ein erster Schritt dazu kann sein, über die Krankheitsbilder zu reden und zu schreiben. Und zwar als das, was sie sind: als eine häufige Erkrankung – und keine Schwäche der Betroffenen.
Klassifikation psychischer Erkrankungen
Doch schon bei der Nennung der häufigsten Krankheiten wird klar, dass ganz verschiedene Ursachen und Erkrankungen zugrunde liegen können, für die die Weltgesundheitsorganisation (WHO) eine Klassifikation entwickelt hat. Unterschieden werden demnach: organische psychische Störungen, psychische Störungen durch psychotrope Substanzen wie Alkohol oder Cannabis, schizophrene und wahnhafte Störungen, affektive Störungen, neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen, psychische Störungen in Verbindung mit körperlichen Störungen wie Bulimie oder Magersucht, Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen, Intelligenzstörungen, Entwicklungsstörungen sowie Verhaltens- und emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit und Jugend.
Angststörung
Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. identifiziert Angststörungen mit einem Anteil von 15,4 Prozent gemäß Zahlen aus dem Jahr 2020 als derzeit häufigste psychische Erkrankung. Dabei ist Angst eigentlich eine nützliche Sache für uns Menschen – sie kann sogar Leben retten und uns vor Gefahren warnen. Doch sie kann auch selbst zur Gefahr werden: Wenn die Furcht kein Ende mehr nehmen will und ein übersteigertes Ausmaß annimmt. Bleibt eine Angststörung unbehandelt, dann kann sie zu einer „Angst vor der Angst“ werden. Sie kann dazu führen, dass betroffene Menschen Angst auslösende Situationen von vornherein vermeiden und sich immer mehr aus dem Leben und der Gesellschaft zurückziehen. Auch Panikattacken können auftreten. Begleitet werden Angststörungen häufig von innerer Anspannung, Unruhe, Schlafstörungen und weiteren körperlichen und psychischen Symptomen. Nach Angaben des Online-Informationsportals Neurologen und Psychiater im Netz beginnen Angsterkrankungen häufig um das 30. Lebensjahr herum und können auch in höherem Alter weiter bestehen. In jedem Alter und in jeder Phase einer Angsterkrankung sollten Betroffene Hilfe suchen.
Depression
Eine Depression mag für manche Menschen der Inbegriff einer psychischen Erkrankung sein – und sie kommt auch dementsprechend häufig vor. Die so genannte unipolare Depression verzeichnet laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. einen Anteil von 8,2 Prozent. Sie kann sich in zahlreichen Beschwerden äußern: zum Beispiel in einer anhaltend gedrückten Stimmung, dem Verlust von Interessen, in gehemmtem Antrieb und Denken. Auch vielfältige körperliche Symptome wie innere Unruhe und Angespanntheit, Schlafstörungen oder Schmerzen können damit einhergehen. Die gute Nachricht vorab: Nach Angaben von Neurologen und Psychiater im Netz kann rund 80 Prozent der Erkrankten dauerhaft und erfolgreich geholfen werden. Wichtig ist jedoch, Hilfe zu suchen, damit die richtige Diagnose überhaupt gestellt und die entsprechende Behandlung beginnen kann, um das Schlimmste zu vermeiden. Denn unbehandelt hege die Mehrheit der Betroffenen früher oder später Suizidgedanken, zehn bis 15 Prozent der Patienten mit wiederkehrenden, schwer ausgeprägten depressiven Phasen sterben den Informationen nach durch Suizid. Und das, obwohl es sehr gute Chancen auf dauerhafte Heilung gibt. Auch Freunde und Angehörige können Betroffenen dabei helfen, etwaige Schamgefühle zu überwinden und die Erkrankung behandeln zu lassen – so wie man es bei einer körperlichen Erkrankung auch wie selbstverständlich tun würde.
Bipolare Störungen
„Himmelhoch jauchzend, zum Tode betrübt“ – dieses Goethe-Zitat beschreibt die Aufs und Abs des Gemütszustands bei einer bipolaren Störung wohl recht treffend. Während es bei der so genannten „unipolaren“ Depression stimmungsmäßig eher konstant in eine „gedrückte“ Grundrichtung geht, stehen bei der bipolaren Störung die Extreme im Vordergrund. Depressive und manische Stimmungsschwankungen sind dafür charakteristisch. Schätzungen zufolge sind zwischen einem und drei Prozent der Bevölkerung davon betroffen. Häufig tritt eine erste Krankheitsepisode rund um das 18. Lebensjahr auf – diagnostiziert wird die Krankheit aber häufig erst viel später. Bis heute sind die Ursachen der Erkrankung nicht vollständig bekannt, laut Neurologen und Psychiater im Netz scheinen jedoch erbliche Veranlagungen und äußere Einflüsse eine Rolle zu spielen. Betroffen seien überdurchschnittlich viele kreative Menschen.
Störungen durch Alkohol- oder Medikamentengebrauch
Der Anteil von Störungen durch Alkohol- oder Medikamentenkonsum liegt laut der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e.V. mit einem Anteil von 5,7 Prozent auf Platz drei. Auf der einen Seite können durch den Alkohol- oder Medikamentengebrauch Störungen entstehen. Auf der anderen Seite kann der Konsum in wohl vielen Fällen auch als Teil eines „Teufelskreises“ gelten. Denn Menschen, die möglicherweise von psychischen Erkrankungen wie Angststörungen oder Depressionen betroffen sind, greifen häufig auch noch zu diesen Mitteln, um ihre Beschwerden zu lindern oder zu betäuben. Sowohl übermäßiger Alkoholkonsum als auch der unsachgemäße Gebrauch von Medikamenten machen die Situation langfristig häufig noch schlimmer als kurzfristig vermeintlich besser. Daher sollten Betroffene nicht auch noch zum Glas oder zum Medikament greifen, möglicherweise auch noch eine Sucht entwickeln. Sie sollten sich in ärztlich kompetente Behandlung begeben, die ihnen wirklich dauerhaft helfen kann. Auch gegen beruflichen Stress und Überlastung, die häufig mit dem Begriff „Burnout“ überschrieben sind, sind Alkohol und Medikamente wohl kein probates Mittel.
Burnout
Wortwörtlich steht der Begriff Burnout für ausgebrannt sein. Jedoch ist Burnout erstmal ein Begriff – und nach Angaben von Neurologen und Psychiater im Netz keine anerkannte wissenschaftliche Diagnose des international geltenden Klassifikationssystems psychischer Krankheiten. Viele Menschen verwenden den Begriff Burnout zudem synonym zur Depression – auch das ist demnach nicht richtig.
Aber was ist Burnout dann? Immerhin erfüllen diversen Umfragen zufolge rund ein Drittel der arbeitenden Bevölkerung die Kriterien für einen Burnout bzw. einer Vorstufe davon. Interpretieren lässt sich der Begriff mit dem Zustand der Überforderung oder der Überlastung, die vornehmlich aus dem beruflichen Umfeld rührt. Gemeint sind Menschen, die sich unter Druck fühlen – aufgrund von nicht zu bewältigender oder als kränkend erlebter beruflicher Belastung.
Eine Situation, die das Entstehen einer psychischen Erkrankung durchaus begünstigen kann und auf keinen Fall als „normal“ hingenommen und ausgehalten werden sollte.
Wege aus der Tabu-Zone
Von Altersdepression bis Zwangsstörung – die Liste der psychischen Erkrankungen ist lang und die Zahlen der Betroffenen scheinen immer stärker zu steigen. Ein Grund mehr, seinen Beitrag dazu zu leisten, das Thema aus der Tabu-Zone herauszuholen und in die Mitte der Gesellschaft zu rücken. Und einen Menschen, dem man sich anvertrauen kann, gibt es für den ersten Schritt vielleicht in der Familie oder im Freundeskreis, möglicherweise ist es auch der langjährige Hausarzt.
Wie auch immer der erste Schritt aussieht. Entscheidend ist, ihn als Betroffener selbst zu tun oder als Angehöriger oder Freund zu unterstützen. Denn wie so oft im Leben gilt auch bei psychischen Erkrankungen: Reden hilft.