Bei Verspannungsbeschwerden und Muskelschmerzen verschreibt man sich schnell eine Bewegungspause – um es bloß nicht schlimmer zu machen! Doch ist es gerade viel zu oft der Bewegungsmangel, der erst zu diesen Beschwerden führt.
In seinem Alltag neigt eigentlich fast jeder aufgrund immer gleicher Tätigkeiten zu einseitigen Körperhaltungen. Besonders oft sitzend oder stehend, nur selten mit Positionswechseln verrichten wir unsere Aufgaben. Logisch, dass dabei Körperpartien belastet und überfordert und andere unterfordert werden. „Manche Muskeln sind komplett auf Spannung, andere steifen ein, weil ihnen die Bewegung fehlt“, sagt Sven Hupka, Physiotherapeut und Personal Trainer aus Bielefeld. Besonders der Schulter-Nacken-Bereich sowie die Lendenwirbelsäule sind Schwachstellen. Auch das Gesäß verlerne etwa zu stützen, wenn es ständig auf dem Hosenboden sitzen müsse. Es kommt zu Schmerzen, „weil die Gelenksysteme nicht mehr über ihren kompletten Bewegungsumfang eingesetzt werden“, sagt der Experte der Physiotherapie Förster. Das muskuläre Zusammenspiel, also die neuronale Ansteuerung ist gestört – eingeschränkte Beweglichkeit, verklebte Faszien, geschwächte Muskeln und einhergehender Stabilitätsverlust sind die Konsequenz.
„Jede Bewegung ist besser als keine“, sagt Hupka. Es brauche gar nicht viel, um der Muskulatur die „Kommunikationsfaulheit“ auszutreiben. Gelenke in Bewegung zu halten und Stabilisationsübungen für Rumpf, Rücken und Bauch lassen sich gut in die „Heimarbeit“ integrieren. „Alles an Bewegung ist gut und richtig. Wer sich bewegen will, muss erst einmal keiner Anleitung folgen“, sagt Hupka. „Er kann zunächst ausprobieren und damit spielen, was der Körper macht, was er kann und wie sich die Bewegung anfühlt.“ Hände zum Boden führen, sich auf den Zehenspitzen zur Decke strecken, den Oberkörper nach links und rechts drehen, knien oder die Schultern kreisen lassen – alles ist erlaubt, alles ist gut.
Der Physiotherapeut schlägt auch ein kleines effektives Workout für zu Hause vor: „Sich einfach mal in allen möglichen Positionen auf den Boden legen – auf den Bauch, Rücken, auf die Seiten – und dann in verschiedenen Varianten aufstehen. Wieder hinlegen und aufstehen in allen möglichen Weisen. Über zwei bis drei Minuten hinweg ist das ein super Cardio-Kraft-Koordinations-Training!“ Oder auch: Sogenannte CARs (Controlled Articular Rotations), also kontrollierte Gelenksrotationen, können ohne Ausreden jederzeit überall ausgeübt werden: „Dazu alle Gelenke kreisen lassen, die der Körper so besitzt.“ Knie, Handgelenke, Hüfte und so weiter – „Es geht darum, das Gelenk aktiv und kontrolliert durch seinen größtmöglichen Bewegungsradius zu führen. Eine perfekte Übung für jeden, egal welchen Alters“, sagt Hupka.
Fünf Übungen gibt der Physiotherapeut allen mit auf den Weg, die besonders ihre Körpermitte, den Rücken und Nacken kräftigen und schmerzenden Muskelbeschwerden vorbeugen oder begegnen wollen:
- Übung 1: Die Schwimmerübung bei Schulter-Nacken-Rücken-Beschwerden: Dazu auf den Bauch legen, Stirn ablegen oder den Kopf anheben und halten (Der Kopf ergibt mit der Wirbelsäule eine Linie). Die Handrücken auf dem Steiß auflegen. Dann die Ellbogen nach oben führen und die Arme langsam ausstrecken, die Handflächen zeigen weiterhin nach oben. Die Arme möglichst weit oben halten und nun seitlich nach oben über den Kopf führen. Die Handgelenke dabei drehen, sodass die Handflächen nun nach unten zeigen. Sind die Arme oberhalb des Kopfes ausgestreckt angekommen, die Handflächen einmal bis zum Nacken führen. Nun die Übung genauso zurück ausführen, bis die Handrücken wieder auf dem Steiß liegen. Mehrmals bewusst und langsam ausführen.
- Übung 2: Den Kopf in alle Richtungen bewegen. Von vorne nach hinten. Kinn zur rechten und linken Schulter führen. Ohren auf die linke und die rechte Schulter legen. Kinn nach vorne und nach hinten schieben. Kopf nach links und rechts schieben, ohne den Oberkörper dabei mitzunehmen. Ein Blick in den Spiegel hilft. Zur Not auch die Hand unterstützend hinzunehmen. „Eine effektive Übung für die Halswirbelsäule und die Nackenmuskulatur“, sagt Sven Hupka.
- Übung 3: Stellen Sie sich vor eine Wand und berühren Sie diese mit folgenden fünf Körperteilen jeweils einzeln: Erst Nase, dann Kinn, dann Brustbein, dann Bauch, dann Becken. Lassen Sie aus dieser „abgehackten“ Bewegung eine Wellenbewegung werden, die durch Ihren ganzen Körper geht – ohne die Wand zur Hilfe zu nehmen. „Dabei ruhig übertreiben und die Arme mitnehmen. Extrem die Hüfte nach vorne und hinten schieben. Den Kopf nach vorne und bewusst nach hinten bewegen. Ruhig auch in die Knie gehen. So, dass man irgendwann in eine Flow-Bewegung kommt“, sagt Sven Hupka. Diese Wellenbewegung kann auch in andere Richtungen ausgeführt werden.
- Übung 4: „Dead bug“ (Toter Käfer) ist die perfekte Übung für den Rumpf: Bei der gesamten Ausführung sollte die Bauch- und Rückenmuskulatur ordentlich stützen. Und so geht’s: Auf den Rücken legen. Beugen Sie die Knie und heben Sie die Füße an, sodass Oberschenkel und Hüfte einen 90-Grad-Winkel bilden und die Waden parallel zum Boden sind. Das ist die Ausgangsposition. Nun den Bauch anspannen und stützen, der Rücken drückt in den Boden. „Stellen Sie sich eine Hand unter Ihrem Rücken vor, die Sie ständig plattdrücken“, rät Hupka. Strecken Sie die Arme nach oben aus. Dann das linke Bein parallel zum Boden ausstrecken und dabei streng darauf achten, dass der Rücken weiterhin in den Boden drückt. Der Bauch bleibt weiterhin angespannt. Nun das linke Bein wieder anwinkeln und das rechte Bein ausstrecken. Erweitern kann man die Übung, indem man antagonistisch zum linken Bein den rechten Arm ausgestreckt nach hinten senkt, und umgekehrt.
- Übung 5: Für Lendenwirbelsäule, Brust und Schultern: Den Oberköper von der Hüfte ausgehend an die Wand bringen, die Füße hüftbreit aufstellen. Den gesamten Rumpf an die Wand drücken, sodass er von den Schultern bis zur Hüfte möglichst ganz anliegt. Die Arme seitlich vom Körper heben, die Ellbogen auf Schulterhöhe an die Wand legen, die Unterarme im 90-Grad-Winkel nach oben abwinkeln. Handgelenke und Handrücken ebenfalls an die Wand pressen. Fingerspitzen zeigen nach oben. Halten. Wer die Übung intensivieren möchte, schiebt die Arme nach oben über den Kopf, wobei er versucht, Hände und Ellenbogen, solange es geht, so nah wie möglich an der Wand entlangzuführen.