Kaffee macht wach, steigert die Konzentration und bringt den Kreislauf in Schwung. Aber fördert er auch die läuferische Leistungsfähigkeit, oder schadet er ab einer bestimmten Menge sogar eher? Was Experten dazu sagen.
Für viele Läufer, auch für viele Profis, gehört ein Kaffee vor dem Start fest dazu. Er ist Teil eines Rituals geworden, das dermaßen verinnerlicht ist, dass sich ein Training ohne Kaffee einfach komisch anfühlt. Falls es Ihnen auch so geht, hier zuerst die gute Nachricht: Vor dem Laufen Kaffee zu trinken kann tatsächlich Ihre Leistung verbessern, etwa weil Sie nicht so schnell ermüden und die Belastung als weniger anstrengend empfinden. Allerdings ist die Wirkung von Mensch zu Mensch verschieden. Sie hängt nicht nur von der Menge ab, sondern auch davon, wie sensibel Sie auf Koffein reagieren. Und wenn Sie es dann mit der Dosierung übertreiben, kann der Koffeinkick am Ende mehr schaden als nützen. Die New Yorker Sporternährungsexpertin Amity Lui wird von Läuferinnen und Läufern oft mit Fragen rund um das Thema Kaffee gelöchert: „Sollte man vor dem Laufen welchen trinken?“ „Wann ist der beste Zeitpunkt?“ „Wie viel muss ich trinken, um etwas zu bewirken?“ „Wann wird es zu viel?“ Auch wenn die Antworten auf diese Fragen von allerlei individuellen Faktoren abhängen, können ein paar allgemeine Empfehlungen der Expertin Ihnen sicher helfen, Ihren Kaffeekonsum so nachzujustieren, dass er optimal zu Ihren läuferischen Bedürfnissen passt.
Die Vorteile von Kaffee
Die meisten Vorzüge des Kaffeetrinkens für die sportliche Leistungsfähigkeit hängen mit dem Koffein zusammen. Koffeinfreier Kaffee bringt also nichts. „Koffein ist eine legale Substanz zur Leistungssteigerung“, so Lui. Laut einem 2019 im „International Journal of Sports Nutrition and Exercise Metabolism“ veröffentlichten Forschungsbericht kann der Wirkstoff speziell bei Ausdauersportlern Anstrengungswahrnehmung, Erschöpfung und Schmerzen reduzieren und zugleich Wachheit und Aufmerksamkeit steigern. Die Wissenschaftler empfehlen, Koffein vor dem Laufen zu sich zu nehmen, merken jedoch an, dass es sogar noch besser wirken würde, wenn es erst während des Laufs oder Rennens konsumiert würde, sobald sich die Erschöpfung einstellt. Einem 2021 im „Journal of the International Society of Sports Nutrition“ erschienenen wissenschaftlichen Aufsatz zufolge scheint Koffein gerade bei aeroben Ausdaueraktivitäten (wie Laufen) von Nutzen zu sein. Aber auch beim Sprinten, im Kraftsport und bei anderen sportlichen Aktivitäten seien „geringe bis mäßige Vorteile des Koffeineinsatzes“ zu verzeichnen, so die Autoren des Artikels. Ein weiterer Effekt von Kaffee ist der, dass er die Verdauung fördert. Sowohl koffeinhaltiger als auch koffeinfreier kann laut Lui einen Reflex auslösen, der den Darm in Schwung bringt. Dies kann je nach Situation ein Vor- oder Nachteil sein, findet Lui. Falls Sie zum Beispiel lieber noch mal auf Klo wollen, bevor Sie vor dem Rennstart das Haus verlassen (mit dem Komfort der eigenen Toilette), kann Kaffee hilfreich sein. Wenn Sie aber eine Kanne Kaffee leeren und dann laufen gehen, ohne vorher Ihr Geschäft verrichtet zu haben, kann das, nun ja, buchstäblich in die Hose gehen. Ein weiterer Vorteil von Kaffee ist, dass er Antioxidantien enthält. Diese sind generell von Vorteil für die Gesundheit, für Sportler aber ganz besonders, und zwar weil Antioxidantien die Entzündungsreaktion des Körpers auf sportliche Betätigung verringern, wie Rachel Gargano, eine im Profi- wie Freizeitsport erfahrene Sporternährungsberaterin, erklärt.
Die Nachteile von Kaffee
Tatsächlich kann man es mit dem Kaffeegenuss auch übertreiben. Zu viel davon kann laut Lui das Risiko innerer Unruhe erhöhen und Herzschlag-Anomalien auslösen. Mögliche Folgen sind: schwitzen, feuchte Hände und nervöses Zittern – Symptome, die nicht gerade dazu beitragen, dass Sie sich beim Laufen wohlfühlen. Wann der kritische Punkt erreicht ist, hängt wiederum davon ab, wie Ihr Körper auf das Stimulans reagiert. Wie schon erwähnt kann Koffein auch eine Toilettenpause erforderlich machen, was unter Umständen von Nachteil sein kann: Wer möchte sich schon mitten im Lauf oder Rennen auf die Suche nach einer (öffentlichen) Toilette machen? Zudem kann ein Koffeinschub spät am Tag Ihren Schlaf stören. Das liegt daran, sagt Lui, dass die durchschnittliche „Halbwertzeit“ von Kaffee, also die Zeit, die erforderlich ist, bis die Hälfte des eingenommenen Koffeins in Ihrem Körper abgebaut ist, etwa fünf Stunden beträgt. Falls Sie zum Beispiel um 15 Uhr vor dem Laufen zwei Becher Kaffee trinken, dann haben Sie bei einer Durchschnittsmenge von etwa 90 Milligramm Koffein pro Becher um 20 Uhr immer noch 90 Milligramm intus. Je nachdem, wie sensibel Sie auf Koffein reagieren, fällt es Ihnen dadurch später schwer, ein- oder durchzuschlafen, so Lui.
Der richtige Umgang
Es erfordert etwas Übung, um herauszufinden, wie viel Kaffee (wenn überhaupt) dem eigenen Lauferlebnis beziehungsweise der Laufleistung zuträglich ist und dann auch noch die optimale Dosis und den perfekten Zeitpunkt der Einnahme zu ermitteln. Im Kasten unten auf dieser Seite finden Sie konkrete Tipps unserer Expertinnen dafür. Ganz gleich, wie viel Kaffee Sie trinken und wann: Beide Expertinnen empfehlen, etwas dazu zu essen, um sicherzustellen, dass Sie über die fürs Laufen nötige Energie verfügen, damit Sie im Training die Leistung bringen können, die Sie von sich erwarten. „Kaffee selbst liefert keine Energie, weil er keine Kalorien hat“, sagt Lui. Sie müssen sich die Energie also woanders holen. Gargano empfiehlt, 30 bis 45 Minuten nach Laufbeginn einen leicht verdaulichen, kohlenhydratreichen Snack zu sich zu nehmen. Bewährte Optionen für einen Imbiss vor dem Lauf sind laut Lui die gute alte Scheibe Toast mit Banane und Honig, eine Banane mit Erdnussbutter oder – falls Sie feste Nahrung vor dem Sport nicht gut vertragen – Apfelmus.
So holen Sie das meiste aus der Bohne
Die optimale Menge
Allgemein werden zur Leistungssteigerung durch Koffein 3 bis 6 Milligramm pro Kilo Körpergewicht empfohlen. Für einen Sportler, der 68 Kilo wiegt, wären das rund 200 bis 400 mg; das entspricht etwa zwei bis fünf Tassen Kaffee.
Wie viel Kaffee Sie vor dem Laufen trinken sollten, hängt allerdings von einer Reihe von Faktoren ab:
- genetische Veranlagung
- wie lange Sie schon Kaffee trinken
- wie viel Kaffee Sie täglich trinken
„Wenn Sie sehr sensibel auf Koffein reagieren und es Sie nervös oder hibbelig macht“, sagt die Expertin für Sporternährung Rachel Gargano, „sollten Sie sich eher am unteren Ende des genannten Dosierungsbereichs bewegen.“ Aber „wenn Sie bereits jeden Tag größere Mengen Koffein zu sich nehmen, brauchen Sie wahrscheinlich eine größere Dosis“. Bedenken Sie: „Bei Koffein gibt es eine Obergrenze, ab der mehr nicht mehr guttut“, so Lui. Laut der US-Gesundheitsbehörde FDA liegt diese Grenze bei 400 mg Koffein. Zu viel Koffein kann u. a. folgende Nebenwirkungen nach sich ziehen:
- Magenbeschwerden
- Nervosität
- Herzrasen
- Schlafstörungen
Der beste Zeitpunkt
→ Wenn Sie sensibel auf Koffein reagieren …
… rät Gargano dazu, auf Kaffee als festen Bestandteil des Laufrituals lieber zu verzichten, da die Nachteile gegenüber den potenziellen Vorteilen vermutlich überwiegen.
→ Wenn Sie Koffein offensichtlich gut vertragen …
… „trinken Sie Ihren Kaffee 30 bis 60 Minuten, bevor Sie laufen gehen“, rät Gargano. „Sie werden die Effekte des Koffeins möglicherweise schon nach einer Viertelstunde bemerken, aber die volle Wirkung stellt sich erst nach etwa einer Stunde ein“, sagt Sporternährungsberaterin Amity Lui. Sie empfiehlt, den Kaffeekonsum vor dem Lauf zeitlich so zu planen, dass „sich der Kick daraus genau dann einstellt, wenn man ihn am nötigsten braucht“.
→ Falls Sie Zucker zum Kaffee nehmen …
… sollten Sie diesen später trinken – „frühestens 30 Minuten vor dem Start“, sagt Gargano. Der Grund: „Zucker wird schnell verstoffwechselt, und wenn Sie von dem erhöhten Blutzuckerspiegel profitieren wollen, der einem beim Sport helfen kann, dann sollten Sie ihn lieber nicht zu lange vorher zu sich nehmen.“
→ Falls Sie länger (mehr als zwei Stunden) laufen …
… „nehmen Sie unterwegs Koffein zu sich“, rät Gargano. Die meisten Anbieter von Energiegels haben auch koffeinhaltige Produkte im Sortiment.