Schlafwandeln, bewusst träumen, Schlaf-Apnoe: Schlafmediziner Dr. Marco Busch, Facharzt für Neurologie und Leiter des Schlaflabors im Evangelischen Klinikum Bethel, erklärt, was dahinter steckt.
Herr Dr. Busch, was passiert im Gehirn, wenn man träumt?
Im REM-Schlaf, das ist die Schlafphase, die allgemein als Traumschlaf bezeichnet wird, sieht man in der funktionellen Kernspintomographie, dass viele Gehirnzentren sehr aktiv sind. Gleichzeitig sieht man, dass das Stirnhirn deaktiviert ist. Dieses ist für das rationale Denken und für die Kontrolle zuständig. Weil visuelle Regionen im Gehirn beim Träumen aktiv sind, sieht man im Traum Bilder, die man sich vorstellt. Weil motorische Zentren aktiv sind, nimmt man Bewegungen wahr, die man sich vorstellt. Wenn man im Traum fliegen kann oder Menschen trifft, die man nur aus dem Fernsehen kennt, geht das nur, weil derartige Bilder und Handlungen nicht rational vom „Manager“ des Gehirns gefiltert und bewertet werden. Das ist der Grund, weshalb man einen Traum als real erlebt.
Warum erinnert man sich nur manchmal an das Geträumte?
Man erinnert sich nur an einen Traum, wenn man aus dem Traum geweckt wird oder aus dem Traum aufwacht. Oder morgens früh, wenn schon einige Zentren des Gehirns wach sind. Die Gedächtnisfunktion, dass man sich an einen Traum erinnert, ist während des Traums ausgeschaltet.
Also ist es eigentlich nicht der Normalfall, dass man sich an einen Traum erinnert?
Genau, wir haben sehr, sehr viele Träume, von denen wir nichts ahnen und die für immer verschwinden. Nur wenn man sich nachts gerade in einem Traum befindet und geweckt wird, kann man sich auch daran erinnern. Wenn man ihn nicht sofort aufschreibt oder sich aktiv zurückerinnert, ist er aber aus dem Gedächtnis relativ schnell wieder verschwunden.
Gibt es Menschen, die Kontrolle über ihre Träume haben?
Ja, manche Menschen können ihre Träume steuern. Diese Träume nennt man dann Klarträume. Darin merkt man, dass man sich gerade in einem Traum befindet. Diese Menschen können, wenn sie sich im Schlaflabor befinden, über Augenbewegungen signalisieren, dass sie sich gerade in einem Traum befinden.
Wie ist das möglich?
Im REM-Schlaf ist es so, dass die Muskulatur erschlafft: Man kann dann weder Arme noch Beine bewegen. Allerdings kann man die Augen bewegen und so den Schlafforschern zuvor vereinbarte Signale geben. Es gibt verschiedene Bewusstseinstechniken, mit denen Klarträumen geübt werden kann.
Welche Forschungen oder Tests können mit Klarträumern gemacht werden?
Zum Beispiel können Rechenaufgaben gelöst werden. Man kann auch im funktionellen Kernspintomographen Studien anstellen. Man sagt dem Träumenden vor dem Traum: „Drück mal die rechte Faust zusammen“, was sie ja allerdings nicht können, weil diese im Traum gelähmt ist. Aber sie können sich vorstellen, dass sie die rechte Faust zusammendrücken. Dann kann man sehen, dass in dem Bereich des Gehirns, der für die rechte Hand zuständig ist, plötzlich Aktivität auftritt.
Gibt es auch persönliche Vorteile abseits der Forschung für den Klarträumer selbst?
Man kann damit zum Beispiel Albträume behandeln. Oft sind das ja wiederkehrende Traumszenen. Wenn man diesen Traum, der starke Angst hervorruft und einen aus dem Schlaf erweckt, durch Klarträumen beeinflussen kann, wird er abgemildert. Auch dann, wenn man eine posttraumatische Belastungsstörung hat, kann über Klarträumen ebenfalls erreicht werden, dass die damit verbundenen Träume nicht mehr so erschreckend sind. Auch für Sportler kann das Klarträumen Vorteile haben. Darin lassen sich zum Beispiel bestimmte Bewegungsabläufe einüben.
Welche Verbindung gibt es zwischen der Realität und dem Geträumten?
Eine Verbindung gibt es vor allem bei emotionalen Themen. Wenn man zum Beispiel schlecht gelaunt ist, ist es wahrscheinlich, dass man in der nächsten Nacht etwas träumt, das negativ getönt ist. Dabei wird aber nicht der Inhalt des tatsächlichen negativen Erlebnisses geträumt. Wenn man zum Beispiel Menschen mit Angst vor Schlangen abends eine Schlange zeigt, werden die Träume wahrscheinlich negativ getönt sein. Die Menschen werden aber nicht tatsächlich von Schlangen träumen.
Was erfahren Sie in Ihrem Schlaflabor noch über die Menschen, die zu Ihnen kommen?
Meist kommen Menschen zu uns, die an einer der etwa 80 definierten Schlaferkrankungen leiden. Oft haben sie eine Schlafapnoe, bei der es zu nächtlichen Atemaussetzern kommt. Häufig kommen aber auch Patienten mit psychogenen Ein- und Durchschlafstörungen, nächtlich störenden unruhigen Beinen, Patienten mit REM-Schlaf-Verhaltensstörung, die ihre Träume ausagieren, Menschen mit Albträumen, aber auch Patienten mit dem Hauptsymptom „vermehrte Tagesschläfrigkeit“, zum Beispiel durch eine Narkolepsie.
Apropos Schlafwandeln: Was passiert im Körper, wenn man schlafwandelt?
Man ist im Tiefschlaf und bekommt einen Weckreiz. Dabei wird man aber nicht komplett wach, sondern bleibt praktisch auf der Mitte des Weges stehen. Einige Teile des Gehirns schlafen noch und ein Teil ist bereits wach. Schlafwandler können ja auch Autofahren oder sich in der Wohnung orientieren. Sie sind nicht im Traum, sondern erkennen: „Da ist eine Treppe, da gehe ich jetzt runter.“ Oder sie können zum Kühlschrank gehen und dort etwas trinken. Wir haben oft Patienten, die sagen, dass sie nachts den Kleiderschrank ausgeräumt haben oder, dass sie morgens Dinge anders in der Wohnung vorgefunden haben als sie sie abends zurückgelassen haben. Als Schlafwandler ist man so wach und orientiert, dass man sich ganz gut zurechtfinden kann. Wenn allerdings gefährliche Situationen auftreten, kann man diesen nicht ausweichen, weil man sich nicht vollständig im Wachzustand befindet.
Wie erkennen Sie das im Schlaflabor?
Wir erheben Daten mit Sensoren, die an der Kopfoberfläche platziert sind. Aus diesen Daten können wir ein sogenanntes Elektroenzephalogramm (EEG) ableiten, in dem wir unter anderem schlaftypische Gehirnaktivität erkennen können. Wenn wir im Schlaflabor sehen, dass sich Patienten aufsetzen oder im Extremfall richtig aufstehen, sehen die Gehirnwellen weiterhin so aus wie im Schlaf.
Wann wird Schlafwandeln denn so gefährlich, dass man untersucht werden sollte?
Schlafwandeln ist häufig abklärungsbedürftig. Schlafwandeln muss man diagnostisch von nächtlichen epileptischen Anfällen und von einer REM-Schlaf-Verhaltensstörung abgrenzen. Es muss allerdings nicht jeder sofort kommen. Kinder schlafwandeln zum Beispiel in einem hohen Prozentsatz. In der Pubertät verschwindet das meist wieder automatisch. Wenn keine gefährlichen Situationen entstehen, und wenn es in der Familie liegt, dann muss man als Kind damit nicht ins Schlaflabor.
Wie wird Schlafwandeln ausgelöst?
Schlafwandeln wird zum Beispiel bei Erwachsenen durch vermehrten Stress ausgelöst. Wer tagsüber viel Stress hat, bei dem ist Schlafwandeln in der Nacht wahrscheinlicher. Auch Schlafentzug ist ein Risikofaktor. Wenn man in der vorigen Nacht wenig geschlafen hat, ist man in der Folgenacht viel im Tiefschlaf. Das fördert dann wieder das Schlafwandeln. Ein regelmäßiger Schlaf-/Wachrhythmus ist daher auf jeden Fall wichtig.
Was kann man noch tun, um die Wahrscheinlichkeit von Schlafwandeln zu verringern?
Gegen den Risikofaktor Stress kann man Entspannungsverfahren wie autogenes Training, progressive Muskelrelaxation oder Yoga erlernen. Man kann auch eine Psychotherapie machen, sodass einige Dinge einen nicht mehr so stressen und man sie anders verarbeitet. Im Extremfall kann man auch Medikamente geben, die den Tiefschlaf-Anteil reduzieren.
Warum haben Sie sich persönlich für diesen spannenden Fachbereich entschieden?
Als Neurologe finde ich es spannend, nachts mit dem EEG Gehirnströme abzuleiten und zu schauen, wie tief jemand schläft oder in welcher Schlafphase er sich gerade befindet. Dann ist die Schlafmedizin auch deshalb so interessant, weil viele Dinge noch nicht vollständig erforscht sind und laufend neue Erkenntnisse hinzukommen. Außerdem hat man gute Möglichkeiten, vorliegende Krankheiten zu behandeln: Wenn alles nach Plan läuft, hat man in der Schlafmedizin gute Behandlungserfolge und erhält sofort ein positives Feedback.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Eine Schlafapnoe zum Beispiel kann man mit Beatmungsgeräten meist sehr gut behandeln. Zu uns kommen Patienten mit dieser Erkrankung, denen es wegen der vielen Atempausen nachts an Tiefschlaf und Traumschlaf mangelt. Unsere Schlafableitung zeigt dann einen sehr schlechten Schlaf. Als Folge sind die Patienten tagsüber müde und schlafen bei jeder Gelegenheit ein. Oft handelt es sich um junge Patienten, die dadurch beruflich große Probleme haben. Und wenn man sie auf ein Beatmungsgerät einstellt, schlafen sie meist tiefer und können ihr Tagesgeschäft wieder wach und ausgeruht ausüben.