Wenn das Herz aus dem Takt gerät, kann das Angst machen. Gleichzeitig kann Angst das Herz aber auch aus dem Takt bringen. Die Psychokardiologie behandelt Herzprobleme ganzheitlich – und die Seele gleich mit. Dr. Rainer Schubmann, ehemaliger Chefarzt Kardiologie und Psychokardiologie der Dr. Becker Klinik Möhnesee, erklärt, was dahintersteckt.
Was ist Psychokardiologie?
Dass Herz und Psyche zusammenhängen, ist nichts Neues. Man bekommt zum Beispiel Herzrasen vor Aufregung – und andersherum gerät man auch in Stress oder sogar in Ängste, wenn man spürt, dass das Herz unregelmäßig schlägt oder stolpert. Früher wurden solche Symptome entweder kardiologisch oder psychologisch behandelt. Je nachdem, welche Diagnose gestellt wurde. Relativ neu ist aber jetzt die Psychokardiologie, die den Zusammenhang zwischen Herz und Psyche bei der Behandlung in den Fokus stellt. In der psychokardiologischen Rehabilitation ergänzen sich die Elemente interdisziplinär. Es kommt allerdings immer darauf an, aus welcher Richtung die Erkrankung kommt: Haben die Patienten herzbezogene Ängste ohne organische Herzerkrankung oder sind sie in der Akutphase einer kardialen Erkrankung zum Beispiel nach einem nach Herzinfarkt oder einer Herz-OP und haben dadurch bedingte Ängste.
Sie sagten, dass die Psychokardiologie relativ neu ist. Seit wann gibt es diesen Schwerpunkt in der kardiologischen Behandlung?
In den 1990er-Jahren gab es eine erste Konferenz zu dem Thema, auf der international Forschende ihre Ergebnisse zusammentrugen. Das war die Geburtsstunde der Psychokardiologie.
War das von Anfang an eine anerkannte Disziplin – oder musste sie sich ihren Ruf erst verdienen?
Ja – das hat schon so seine Zeit gedauert. Man sagt immer, dass es rund 10 Jahre von der Forschung ins Leben braucht. Das kommt bei der Psychokardiologie auch gut hin. Anfang der 2000er-Jahre wurde sie bekannter, seitdem wächst die Akzeptanz stetig. Seit etwa 15 Jahren hat sich die Psychosomatik als Partner der Kardiologie etabliert.
Warum ist diese Verbindung von Psychosomatik und Kardiologie so wichtig?
Angst ist ein Faktor unseres menschlichen biologischen Warnsystems. Darum ist es ganz normal, dass man im Verlauf von Herzerkrankungen wie Infarkten, Herzoperationen oder Herzrhythmusstörungen Angst bekommen kann. Immerhin stimmt mit dem Körper massiv etwas nicht. Diese Angst ist aber kontraproduktiv, weil sie den Patienten hemmen kann. Besser ist es, zu lernen, mit seiner Erkrankung umzugehen. Das ist die eine Seite. Es gibt aber auch Angststörungen, also Ängste, die in unangemessenen Situationen und in zu starker Ausprägung auftreten. Auch unabhängig von Herzerkrankungen. Sie können das Herz aber ebenso belasten. Lange Zeit gab es nur Hinweise darauf, dass es diesen Zusammenhang gibt. Im Juli 2010 wurde aber die Studie „The Heart and Soul Study“ publiziert, die den Risikofaktor Angst für das Herz belegte und zeigte, wie groß der Einfluss der Psyche auf das Herz ist. Darum ist diese Verbindung so wichtig. Darum müssen wir zum Teil auch Menschen mit Herzerkrankungen psychotherapeutisch begleiten.
Wie wird therapiert, wenn man einen Zusammenhang zwischen Herzerkrankung und Psyche diagnostizieren konnte?
Es gibt unterschiedliche Ansätze in der Rehabilitationsmedizin. Eine rein kardiologische Therapie erfolgt, wenn Patienten nach einer Herz-OP oder nach einem Infarkt unter leichten depressiven Verstimmungen und Verunsicherung leiden. Dann werden sie informiert und geschult, wie sie damit umgehen können, intensive psychologische Betreuung oder Psychotherapie ist aber nicht erforderlich. Wird die kardiologische Erkrankung aber von einer Angststörung begleitet, die die Patienten in ihren Fähigkeiten einschränkt, dann steht zwar die kardiologische Rehabilitation im Vordergrund, wird aber im Rahmen einer verhaltensmedizinisch orientierten Rehabilitation ergänzend therapiert.
Und wenn die psychische Erkrankung der Auslöser für die Probleme ist?
Bei Patienten mit herzbezogenen Ängsten ohne organische Herzerkrankung ist eine psychosomatische Rehabilitation der richtige Weg – also zum Beispiel bei Panikanfällen mit Herzangst bei herzgesunden Patienten. Handelt es sich hingegen um eine manifeste Depression oder Angststörung nach einem Herzinfarkt oder in der Zeit nach einer Herztransplantation – wenn also eine Herzerkrankung eine Rolle spielt –, ist die Psychokardiologie der richtige Weg.
Kommt es dem Vormarsch der Psychokardiologie zugute, dass der Umgang mit psychischen Erkrankungen immer unkomplizierter wird?
Ja, das stimmt. Das erleichtert vieles. Viele Patienten trauen sich jetzt eher, über ihre Ängste zu sprechen und auch entsprechende Therapien einzufordern. Wir hatten in unserer Klinik zum Beispiel eine junge Frau, die Sportlehrerin werden wollte, mit Ende 20 aber einen Herzinfarkt hatte. Sie hatte danach das Gefühl, als fehle ihr noch der Mut, wieder normal in den Beruf zurückzugehen. Ihr Kardiologe wollte sie dann einfach krankschreiben. Sie hat sich aber offensiv selbst um eine psychokardiologische Therapie bemüht, war dann vier Wochen bei uns in der Klinik Möhnesee und konnte ihre Ängste bewältigen. Inzwischen ist sie tatsächlich Sportlehrerin.