Ein Leben ohne Mobiltelefon ist für viele Menschen kaum mehr vorstellbar. Kann das noch gesund sein oder sind wir alle schwer gefährdet?
Es sind die kleinen Nachrichten zwischendurch. Und die Momente, in denen man – eigentlich – mit sich allein wäre: Die Verabredung ist kurz auf die Toilette verschwunden, die Bahn lässt auf sich warten oder man hat auf dem abendlichen Heimweg ein Stück gruselige Wegstrecke zu bewältigen. Immer an unserer Seite: unser geliebtes Handy. Mit ein paar Tipps auf dem Display ist das unbehagliche Gefühl des Alleinseins genauso schnell weggewischt wie ein drohender Moment der Langeweile. Bei einigen Menschen ist die Liebe zum Smartphone gar so groß, dass sie regelrecht süchtig nach ihrem Handy sind. Oder unter „Nomophobie“, englisch „nomophobia“, leiden. So haben die Briten die Angst getauft, ohne ihr Mobiltelefon dazustehen. Dieses Gefühl, das die Wortschöpfung aus „no mobile phone“ und „phobia“ beschreibt, kommt vermutlich vielen Menschen bekannt vor.
Der kalte Entzug
Wer kennt es nicht, wenn man auf dem Weg zur Arbeit in seiner Tasche ins Leere greift. An der Stelle, wo sonst das Handy seine feste Adresse hat, ist plötzlich – NICHTS! Der Takt des Herzschlags beschleunigt sich mit jedem weiteren hektisch ausgeführten Griff ins Leere. In der noch keimenden Hoffnung, dass das Smartphone heute versehentlich an eine andere Stelle in der Tasche umgezogen ist, oder der digitale Liebling nur unter der Bodenschicht in der Tasche aus Klimpergeld, Kaugummipapier und Kassenbons verschüttet wurde. Wenn feststeht, dass das Handy wirklich zu Hause liegen geblieben ist, ist tief durchatmen angesagt. Jetzt ganz ruhig bleiben! Beinahe genauso müsste es sich anfühlen, wenn man seine rechte Hand auf dem Nachtschränkchen am Ladekabel hätte hängen lassen. Viele Menschen kehren in so einer Situation um und holen sich ihr „Baby“ zurück – um sich anschließend wieder komplett und mit der Welt verbunden zu fühlen. Aber warum scheinen so viele Menschen mit ihren Handys so gut wie verheiratet zu sein?
Smartphone als Glücksspielautomat
Ein Grund ist, weil uns definitiv etwas fehlen würde. Denn immer wieder wandern unsere Hände ohne konkreten Grund reflexartig zum Phone. Einfach mal gucken, ob es etwas Neues gibt oder vielleicht jemand mit einer Nachricht an uns gedacht hat. Und etwas verpassen will man ja schließlich auch nicht. Laut einer Studie der Uni Bonn aktivieren Besitzer ihr Handy im Schnitt 53 Mal am Tag. Alle 18 Minuten unterbrechen sie dafür ihre aktuelle Tätigkeit. „Smartphone-Apps funktionieren wie Glücksspielautomaten. Wir betätigen sie immer wieder, um uns einen kleinen Kick zu holen“, sagt Alexander Markowetz, der die Studie durchgeführt hat und Autor des Buches „Digitaler Burnout“ ist. Aber was genau kickt uns so am Griff zum Handy?
Folgen der Handysucht
Wann immer eine Nachricht auf dem Display erscheint, dann bedeutet das einen Überraschungsmoment für uns. Und mit jedem Aktivieren des Handys und Öffnen einer App hoffen wir auf den großen „Hauptgewinn“. Das kann eine tolle persönliche Nachricht oder eine soziale Belohnung sein. Zum Beispiel ein wohlwollender Kommentar oder eine Anerkennung in Form von Likes in sozialen Netzwerken. Unser Körper reagiert darauf und schüttet als eine Art Belohnung das Glückshormon Dopamin aus – genauso wie beispielsweise beim Rauchen. Viele Apps sind bewusst so konzipiert, dass wir von ihnen nicht genug bekommen. „Einen Großteil der Zeit verbringen die Menschen mit Social-Media-Anwendungen wie Facebook, WhatsApp oder Spielen“, erklärt Markowetz. Dramatisch seien besonders die ständigen Unterbrechungen der eigentlichen Tätigkeiten. Sie erlaubten es nie, sich einer Sache voll und ganz zu widmen. Die Folgen seien Unproduktivität und ein mangelndes Glücksempfinden.
Test zum Mobiltelefongebrauch
Einen Anhaltspunkt auf die Frage, ob man das Smartphone jetzt noch in einem gesunden Rahmen benutzt, liefert ein Test https://www.medienanstalt-nrw.de. Ihn hat das Team von Professor Matthias Brand von der Uni Duisburg-Essen gemeinsam mit der Landesanstalt für Medien NRW entwickelt. Dabei geht es im Kern um die Frage, wie selbstbestimmt die Handynutzung ist. Also ob man selbst das Handy nutzt, wie man möchte. Oder ob das Handy über Signale wie vibrieren, piepen und leuchten bestimmt, wann man es nutzt. Der Test beurteilt nicht, welches Verhalten gut oder schlecht ist. Er soll Teilnehmende auf unbewusste Denkmuster aufmerksam machen und ermöglichen, ihr Nutzungsverhalten zu reflektieren.
Hilfe bei Handysucht
Um einen gesunden Umgang mit dem Handy beizubehalten oder wieder zu lernen, rät Alexander Markowetz dazu, eingeübte Automatismen zur Smartphone-Nutzung durch konkrete Techniken loszuwerden. Etwa, indem man das Schlafzimmer zur handyfreien Zone erklärt oder das Smartphone nur auf einem unbequemen Küchenschemel benutzt. Weitere Tipps lauten, eine Armbanduhr zu tragen oder sich Zeitfenster für die Smartphone-Nutzung einzurichten. Für weiterführende Hilfe findet man beim Fachverband Medienabhängigkeit Anlaufstellen in der Nähe (https://www.fv-medienabhaengigkeit.de). Und zugegeben, es klingt beim Thema Smartphone-Sucht ein bisschen paradox, aber: Wer sein Handynutzungsverhalten erstmal überprüfen und dokumentieren möchte, kann auf Apps wie „Menthal“ oder „Space“ zurückgreifen.