Von Migräne Betroffene sind sehr häufig in ihrem Alltag eingeschränkt. Das weiß auch Professor Hartmut Göbel, Chefarzt an der Schmerzklinik in Kiel und Spezialist für das Thema Migräne.
Mirgräne ist eine bekannte Form von Kopfschmerz, die den Alltag der Betroffenen häufig stark einschränkt. Es gibt nicht nur viele verschiedene Formen der Migräne, sie kann auch im Verlauf bei den Betroffenen oft ganz unterschiedlich sein. Wir haben mit Herrn Professor Göbel, Chefarzt an der Schmerzklinik in Kiel und Spezialist für das Thema Migräne, gesprochen.
Herr Professor Göbel, gibt es denn überhaupt die eine Migräne – oder ist sie bei jedem Betroffenen anders?
Es gibt sogar 45 verschiedene Hauptformen – ohne Aura oder mit Aura – und dazu noch weitere Varianten wie den migränösen Infarkt oder durch Migräne bedingte Epilepsie. Migränöser Infarkt bedeutet dabei, dass ein Schlaganfall durch die Migräneaura ausgelöst werden kann. Außerdem gibt es auch noch die chronische Migräne, die mehr als 15 Tage im Monat anhält.
Was genau ist die Aura?
Das sind neurologische Symptome wie zum Beispiel Zickzacklinien im Sehfeld oder verschwommenes Sehen auf einer Seite, das sich langsam über ca. 30 bis 60 Minuten ausbreitet. Komplex sind die Symptome bei der Migräne mit Hirnstammaura. Sie äußert sich zum Beispiel durch Sprachstörungen, Wortfindungsstörungen, Hörgeräusche, Gangunsicherheit, bis hin zur Bewusstlosigkeit. Das Wort Aura stammt von der griechischen Göttin der Morgenröte Aurora. Und so ist die Aura auch aufgebaut: Das gleißende Licht, das Flimmern steigert sich, erreicht nach etwa einer halben Stunde seinen Höhepunkt, dann bildet sich die Aura zurück.
Die Symptome erinnern aber auch an typische Schlaganfallsymptome. Wie kann man das unterscheiden?
Es kommt auf die genaue Erfassung der Symptome an. Beim Schlaganfall treten die neurologischen Ausfälle in der Regel schlagartig mit Ausfällen wie Taubheit oder Erblindung auf. Bei der Migräne treten die Symptome langsam auf und breiten sich aus. Dabei entstehen neue Symptome wie farbige Zickzacklinien, Hörgeräusche oder Kribbeln. Man geht auch davon aus, dass rund 20 Prozent der Menschen, die mit Verdacht auf einen Schlaganfall ins Krankenhaus kommen, eine Migräne haben.
Wie bekommt man Migräne? Und kann sie jeder bekommen?
Migräne hat man sein Leben lang, und es ist inzwischen wissenschaftlich gesichert, dass sie eine genetische Grundlage hat. Es sind 44 Genvarianten auf 38 Risikogenen bekannt, was bedeutet, dass es im Bauplan unseres Körpers biologische Bedingungen für Migräne gibt. Sie ist keine strukturelle Störung im Gehirn. Allerdings können Patienten wegen genau dieser genetischen Ausstattung sehr schnell und sehr effektiv Reize differenzieren: sehr schnell um mehrere Ecken denken etwa. Und sie sind sehr kreativ. Dadurch führt alles zu Schnelle, zu Viele, zu Plötzliche, was auf einmal auf das Nervensystem einströmt, zu einer übermäßigen Aktivierung der Nervenzellen. Auf diese Weise werden die Energievorräte darin erschöpft, wodurch die natürliche Regulierung der Nervenfunktion zusammenbrechen kann. In der Folge werden Stoffe freigesetzt, die eine Entzündung an den Adern der Hirnhäute auslösen.
Gibt es trotz aller Unterschiede im Verlauf einen Trick, mit dem man Migräne annähernd in den Griff bekommen kann?
Einen Trick gibt es nicht. Aber es gibt wirksame Verhaltensmaßnahmen: Die zeitgemäße Therapie beruht auf drei Säulen. Erstens auf Wissen, Information und Verhaltensanpassung. Patienten müssen wissen, wie die Attacken entstehen. Sie brauchen Informationen, wie sie sich vor Migräne schützen können. Dazu gehört ein regelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus. Außerdem sollten sie regelmäßig essen, und zwar kohlenhydratreiche Mahlzeiten, da das Nervensystem auf Kohlenhydrate angewiesen ist. Migräneattacken entstehen ja durch ein Energiedefizit in den Nervenzellen. Die zweite Säule ist die Vorbeugung mit Medikamenten, wenn Attacken sehr häufig und sehr schwer auftreten. Die dritte Säule ist die medikamentöse Behandlung der Attacken mit speziellen Medikamenten.