Sie ist unser größtes Organ und wird doch so oft unterschätzt: die Haut. Sie ist einfach da. Wir tragen sie wie selbstverständlich mit uns. Und nehmen doch so viele Dinge über sie wahr. Kälte, Wärme, Schmerz. Doch auch die sanftesten Berührungen haben ihre Wirkung – und zwar eine überaus positive und wichtige.
Berührungen sorgen für Entspannung
Das Pärchen auf der Straße geht Hand in Hand. Eine Mutter streicht ihrem Kind liebevoll über den Kopf. Zwei Männer umarmen sich zur Begrüßung: Berührungen finden im täglichen Leben oft statt. Und drücken so allerlei aus. Sie signalisieren Zuneigung, spenden Trost, geben Sicherheit. „Wir sind von der Natur her schon darauf eingestellt, Berührungen wahrzunehmen. Da passiert ganz viel in uns und mit uns“, sagt Julia Scharnhorst, Psychologin und Psychotherapeutin aus Hetlingen, bei Hamburg. Über Sensoren und feine Nervenfasern werden die Informationen an das Gehirn weitergeleitet. Die Hormone Dopamin und Oxytocin werden freigesetzt. Stresshormone wie Cortisol werden abgebaut. Die Folge: Der Blutdruck sinkt, die Muskulatur entspannt sich. Ein bestimmter Druck, eine bestimmte Geschwindigkeit können positive Wirkungen entfachen – wenn ein Vertrauensverhältnis zwischen den Berührenden besteht. „Der Zusammenhang ist natürlich wichtig“, sagt Scharnhorst. Der Griff an die Schulter, das Packen des Arms könne im falschen Kontext andernfalls auch beängstigend wirken.
Missverständnisse vermeiden
Wie Berührungen aufgefasst werden, habe auch mit dem Status und dem Geschlecht zu tun, meint Scharnhorst. Während jemand mit einem höheren Status es eher als normal betrachtet, auch im selbst wahrgenommenen Verständnis der Autorität, jemand anderem beispielsweise auf die Schulter zu fassen, möge er es andersrum nicht. „Auch bei Frauen und Männern sehen wir Unterschiede“, sagt Psychologin Scharnhorst. Frauen würden sich eher berühren lassen. Doch muss man aufpassen. Nicht immer beruhen Berührungen auf Gegenseitigkeit. „Gerade wenn es um Alters- oder Statusunterschiede geht, kann das irgendwann in Richtung Missbrauch oder Übergriff gehen“, warnt Scharnhorst. Ein gestatteter Griff an die Schulter beispielsweise sei noch kein Freibrief für andere Regionen. „Es kann Probleme geben, wenn Berührungen falsch gedeutet oder aber bewusst ausgenutzt werden.“
Berührungen fördern die kindliche Entwicklung
Doch bewirken sie im positiven Fall so viele gute Dinge – und sind gerade in jungen Jahren entscheidend für die Entwicklung. Gerade Babys und Kinder brauchen liebevolle Berührungen. „Kinder entwickeln sich schlechter, wenn Berührungen nicht stattfinden“, sagt Scharnhorst. „Leider“, so die 59-Jährige, „hat es früher Erziehungsmethoden gegeben, bei denen man die Kinder nur zum Füttern und Wickeln angefasst hat, weil sie sonst ‚verhätschelt‘ würden.“ Keine gute Idee. Das könne die Entwicklung über viele Jahre verzögern und auch die Bindungsfähigkeit verhindern. Daher gibt es mittlerweile in Krankenhäusern eigens eingerichtete Räume, in denen Mütter und Frühgeborene miteinander kuscheln. Studien zeigen, die Kinder reifen schneller, haben ein stärkeres Immunsystem. „Die gesamte körperliche Entwicklung wird verbessert“, sagt Scharnhorst. Positiv auf Kinder können darüber hinaus Kuscheltiere, -decke oder -pullover wirken. „Eine angenehme Berührung einer weichen Oberfläche, bestenfalls noch mit 32 Grad, der Temperatur der Haut, trägt auch schon zur Beruhigung bei und gibt ein gutes Gefühl“, erklärt Scharnhorst. Die Rezeptoren der Haut nehmen das wahr. Weich und kuschelig sind auch Hunde und Hauskatzen. Die Vierbeiner und der Mensch haben sich mittlerweile schon so weit angenähert, dass Kuscheleinheiten mit dem Tier ähnliche Effekte, wie etwa Dopaminausschüttung, haben – und das sowohl beim Menschen als auch beim Tier.
Anfassen beim Sport
Etwas herber, aber nicht weniger liebevoll gemeint, sind Berührungen im Kontext von Sportmannschaften. Männer hauen sich gegenseitig auf die Schultern, knuffen sich vielleicht mal hier und da und umschlingen sich bei einem Erfolg. Das gegenseitige Verständnis ist gegeben. „Das kann als freundschaftliche Geste verstanden werden und stärkt auch den Teamgeist“, sagt Scharnhorst.
Die Berührungsbranche boomt – Kuschelpartys auch?
Ob Berührungen überall ähnlich akzeptiert sind, ist fraglich. In vielen Ländern ist es üblich, sich etwa zur Begrüßung zu umarmen oder Küsschen links, Küsschen rechts zu geben. Deutschland sei eher eine berührungsfremde Kultur, glaubt Scharnhorst – auch wenn sich das etwas geändert habe. Auf der anderen Seite boomen Massage- und Wellness-Angebote schon seit Jahren. Man lässt sich gern anfassen, berühren, streicheln. Das bringt Entspannung. Wirken tut es auf die gleiche Weise, wenn es so gemeint sein soll. Zyniker würden vielleicht sagen, es schaffe nur einen Ausgleich, weil man Berührungen und Nähe im täglichen Leben nicht hat. In den Ohren Scharnhorsts klingt das aber „etwas zu herabwürdigend für alleinstehende Menschen. Es gibt diese Möglichkeiten zur Entspannung und zum Wohlfühlen eben und man sollte das dann auch bewusst machen“.
Auch sogenannte Kuschelpartys, organisierte Veranstaltungen, bei denen Menschen ohne sexuelle Absichten miteinander auf Matten kuscheln, könne man nicht zwangsläufig darauf zurückführen, dass Teilnehmende einsam seien und keine Berührungen erfahren. „Entwicklungsgeschichtlich können Menschen das ja eigentlich ganz gut, wenn man an Zeiten denkt, in denen es im Winter eben keine Heizungen oder eigene Wohnungen gab und Menschen einfach zusammenrücken mussten, damit es warm ist. Auch in Hotels haben früher Menschen zusammen in einem Bett geschlafen. Und da sind dann solche Kuschelpartys auch ganz nett und die funktionieren auch“, glaubt Scharnhorst.
Und wenn man kein Freund größerer Gruppen-Kuscheleinheiten ist, dann probiert man eine Umarmung das nächste Mal einfach mal bei einem Freund, einer Freundin, den Geschwistern oder den Eltern aus. Wie fühlt es sich an?