Als kühles Getränk in der Abendsonne nach einem langen Homeoffice-Tag oder nach einer anstrengenden Radtour: Die Rede ist von Tonic-Wasser. Dieses ist nicht nur aufgrund seines Geschmacks beliebt, sondern auch wegen des häufig als gesundheitsfördernd wahrgenommenen Chinin-Gehalts. Vor einigen Wochen kam es zudem zu einer (unbegründet) hohen Aufmerksamkeit als mögliches COVID-19-Heilmittel. Was es damit auf sich hat:
Was ist Chinin?
Aus der Rinde des Chinarindenbaums wird in einem aufwendigen Verfahren ein weißes, kristallines Pulver gewonnen. Was wie ein illegales Betäubungsmittel klingt, ist tatsächlich das sogenannte Chinin, das medizinisch verwendet oder in äußerst geringen Mengen aufgrund seines bitteren Geschmacks in Lebensmitteln wie Tonic-Wasser, Bitter Lemon oder Magenbitter genutzt wird. Doch auch ohne berauschende Wirkung hat es das Pulver in sich.
So wirkt Chinin auf den Körper
In der Pharmazie als Sulfat verwendet, wirkt Chinin direkt an den Verbindungsstellen von Nerven und Muskelfasern, weshalb es therapeutisch bei Muskelkrämpfen eingesetzt werden kann. Diese Wirkungsweise wurde bereits 1939 vom Amerikaner Dr. A. McGehee Harvey erkannt.
Weiteren positiven Wirkungen wie schmerzstillenden, fiebersenkenden und lokal betäubenden Eigenschaften, die bis heute vor allem in der Naturmedizin zur Behandlung von grippalen Infekten geschätzt werden, stehen jedoch auch zahlreiche Nebenwirkungen gegenüber. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung e.V. weist auf mögliche allergische Reaktionen, Sehstörungen, Kopfschmerzen und Verwirrtheitszustände hin. Auch können insbesondere bei vorerkrankten Menschen Erregungsleitungsstörungen am Herzen hervorgerufen werden, die bis zum Herzinfarkt führen können.
Chinin und Malaria
Die medizinisch wohl aber wertvollste Nutzung des Chinins besteht seit dem 17. Jahrhundert, als Malariaheilmittel. Im Lauf der Zeit konnten Wissenschaftler zwar die Wirkungsweisen der Chininbestandteile bei Malariaerkrankungen entschlüsseln und synthetische Wirkstoffe wie Hydroxychloroquin und Chloroquin entwickeln, die einen wesentlich höheren Wirkungsgrad aufweisen. Da viele Menschen mittlerweile jedoch eine hohe Resistenz gegenüber diesen beiden Wirkstoffen entwickelt haben, wird dem ursprünglichen Chinin in der Forschung heute wieder mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Chinin und COVID-19
Die beiden synthetischen Wirkstoffe Hydroxychloroquin und Chloroquin sind auch der Grund dafür, dass Tonic-Wasser seit Anfang März vor allem in sozialen Netzwerken immer wieder als mögliches Heilmittel für COVID-19 gehandelt wird. Diese häufig zu lesende Verknüpfung von Tonic-Wasser und COVID-19 beruht auf mehreren fehlerhaften Annahmen: Zwei kleine Studien aus Frankreich und China hatten die Wirkstoffe Hydroxychloroquin und Chloroquin als mögliche Heilmittel-Kandidaten gegen COVID-19 ausgemacht. Da der ursprüngliche Malariawirkstoff Chinin den genannten synthetischen Wirkstoffen sehr ähnlich ist, wurde unbegründet darauf geschlossen, dass Tonic-Wasser, da chininhaltig, ebenso wirken müsste. Für die Wirksamkeit von Chinin als COVID-19-Heilmittel gibt es jedoch keinerlei Belege.
In mehreren Anschlussstudien zu Hydroxychloroquin und Chloroquin – wie von der Universität Toronto um David Juurlink – wurde zudem vor massiven Komplikationen wie Herzstillständen, epileptischen Anfällen und höheren Sterblichkeitsraten gewarnt. Weitere Studien wie die CloroCovid-19 aus Brasilien mussten sogar abgebrochen werden. Immer mehr Studien ergaben Komplikationen, sodass offensichtlich wurde, dass in den Erststudien aus Frankreich und China eine Fehleinschätzung erfolgt ist. Die amerikanische Lebensmittelüberwachungs- und Arzneimittelbehörde FDA, die noch bis Ende März außerklinische Studien mit den zwei genannten Wirkstoffen erlaubt hatte, warnt inzwischen ebenfalls vor möglicherweise lebensgefährlichen Komplikationen.
Tonic-Wasser ist ein Genuss – aber nicht als falscher Hoffnungsträger, sondern als kühle Erfrischung in üblichen Mengen.