In der letzten Kolumne habe ich stark auf die digitale Ethik angespielt, die durch den schnellen und teils ungeplanten Wechsel auf Remote Work nun nach zwei Jahren Zweckbetrieb in den Fokus rücken sollte. In vielen Fällen hat sich gezeigt, Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser – da weniger Reibungspunkte und mehr Verantwortlichkeitsgefühl. „Verantwortlichkeit zieht ihren Erfolg nicht aus der Kontrolle, sondern dem entgegengebrachten Vertrauen.“ – eine meines Erachtens sehr wichtige These aus meinem letzten Impuls, die auch für die sich neu ordnende Unternehmenskultur elementar ist.
Denn Remote Work zieht noch weitere Folgen mit sich, die durch aktuelle Zahlen belegt werden. So fühlt sich nach einer Umfrage von Gallup jede(r) 4. von 10 Arbeitnehmenden gestresst, gestresster als vor der Pandemie. Zahlen, die Unternehmen aufhorchen lassen sollten, liegt doch eine hohe Gefahr für sie in selbigen – ob durch stressbedingte Kündigung oder stressbedingte Ausfallzeiten.
Die Fahrt zur Arbeit ist ein, jedoch nicht der Stressfaktor
Klar, Remote Work hat viele Vorteile für Unternehmen und Mitarbeitende und es ist ein richtiger und wichtiger Schritt, dass wir endlich angefangen haben, Zusammenarbeit neu zu organisieren und flexibler zu koordinieren. Das habe ich in anderen Kolumnen schon deutlich gemacht und ist auch verbreitete Meinung.
Es gibt zum Beispiel kaum jemanden, insbesondere im urbanen Umfeld, der nicht ab und zu gerne auf die Fahrt zur Arbeit verzichtet. Ich, aus der aktuellen Stauhauptstadt NRWs Düsseldorf berichtend, verzichte nur zu gerne darauf, unzählige Minuten auf ein und dasselbe Autoheck zu schauen, mit gelegentlichen Anfahr- und Abbremsunterbrechungen – meditativ wirkt dies nämlich leider nicht. Meine Einschätzung teilt auch die Studie von Gallup. Viele Mitarbeitende gaben an, dass durch das ausbleibende Pendeln Stress reduziert wurde.
Und trotzdem gibt jede(r) 4. Mitarbeitende an, aktuell mehr Stress im Beruf zu verspüren. Da wird deutlich: Für Unternehmen gilt es, nicht nur Zusammenarbeit neu zu koordinieren, sondern auch ein anderes Verständnis dieser neuen Arbeitswelt zu definieren. Durch eine verschwindende Grenze von Berufs- und Arbeitsleben und stetige Erreichbarkeit im Homeoffice erhöht sich die Arbeitslast: Mitarbeitende starten durch ausbleibenden Transfer in die Arbeit früher in den Arbeitstag und stetige Konfrontation mit den Arbeitsmitteln lässt auch ein Abschalten schwieriger werden. Hinzu kommen die stetige Erreichbarkeit und Herausforderungen im Arbeitsalltag durch Einflüsse von außen – wie z. B. die Pandemie oder die Russlandkrise. Und: Die Anzahl von Meetings am Tag ist in Form von flexibel und unkompliziert zu planenden Videocalls, auch aufgrund der ausbleibenden Kaffeeküchengespräche oder Tischkickerduelle, wo Themen schnell mal auf direktem Wege geklärt werden können, stark gestiegen und reduziert die Zeit für die ‚eigentliche‘ Arbeit. Die Folge ist erhöhter Stress, den Arbeitstag zu bewältigen, trotz höherer Flexibilität durch die Digitalisierung.
Die Erfolgsformel liegt in der Verantwortlichkeit
Na gut, Veränderung ist für alle schon immer eine Herausforderung und ein Lernprozess gewesen. Daher ist es immens wichtig, dass wir diesen Prozess auch als solchen ansehen und nicht von heute auf morgen die Lösung erwarten. Und dass wir offen mit den Herausforderungen der Veränderung umgehen. Gemeinsam wird man die neue Zusammenarbeit erfolgreicher gestalten können, Achtsamkeit muss in einer digitalen Welt vielseitiger gelebt werden, nicht nur ‚Top-down‘, sondern auch deutlich. Wer durch gesteigertes Vertrauen die Verantwortlichkeit der Mitarbeitenden in den Fokus rückt oder als Mitarbeitende(r) Entsprechendes fordert, sollte im gleichen Maße die Unternehmenskultur und das eigene Handeln darauf ausrichten. Verantwortlichkeit bedeutet, den Blick für den gesamten Verantwortungsbereich zu haben und nicht für Teilbereiche – das schließt alle im Team und die eigene Person ausdrücklich mit ein.
Stress kann unterschiedliche Ursachen, doch nur eine Folge haben
Und wenn nun allgemein das Stresslevel steigt, dann gilt es auch hier verantwortlich zu (re)agieren. Stress entsteht durch Erwartungshaltung, entweder an die eigene Person oder durch die durch andere gesetzte. Stress in diesen unterschiedlichen Ausprägungen zu erkennen, wird daher immer wichtiger für Unternehmen, Führungskräfte und Mitarbeitende. Zum eigenen Schutz, jedoch auch dem Schutz der Unternehmenswerte.
In Zeiten des Fach- und Arbeitskräftemangels kann sich kaum ein Unternehmen und auch kein Team Ausfallzeiten von Kolleginnen und Kollegen oder gar Kündigungen erlauben. Die Folge wäre (noch) mehr Last auf weniger Schultern und damit ein gesteigertes Stresslevel, das zu weiteren Ausfällen oder Kündigungen führen könnte – ein Teufelskreis quasi.
Was kann ich also tun, damit in Zeiten der Neuordnung der Arbeitswelt ein solcher Teufelskreis nicht seine Wirkung ausspielt? Für mich kann ein Schritt nur die Veränderung des Blickwinkels durch Sensibilisierung sein. Wer sich mit einem Thema – auch in Eigenerfahrung, also der Projektierung auf die eigene Person – intensiv auseinandergesetzt und Erfahrungen gesammelt hat, kann auch achtsamer mit der Umwelt umgehen. Ein Stresstest kann für Unternehmen hilfreiche Einblicke in die Mitarbeiterschaft geben und für die Mitarbeitenden ein besseres Verständnis für die eigene Person und das Umfeld sowie das Erfordernis der Entlastung und des (gesundheitlichen) Ausgleichs. Und wenn man es strategisch gut positioniert, kann sich aus dieser Erkenntnis heraus ein getränktes Teambuilding und mehr Zusammenhalt ergeben. Zusammen kämpft man weniger allein und insbesondere die Umstellung auf einen gesünderen Leben(-srhythmus) hat im Team mehr Chance auf Nachhaltigkeit.
Die Verantwortlichkeit, den Prozess zu etabliertem Remote Work in die richtige Richtung zu führen, liegt folglich bei allen Beteiligten. Wenn wir agieren, Kolleginnen und Kollegen einbinden und Zeit einfordern, sollten wir uns auch immer in das Blickfeld der anderen versetzen und uns fragen, was wirklich nötig und relevant ist und wo wir auch (mal) entlasten und unterstützen können. Auch im eigenen Interesse, damit sich das eigene Belastungslevel nicht durch zu hohe Belastung der Kolleginnen und Kollegen erhöht. Und nein, eine Abkehr von Remote Work ist keine Lösung, auch das hat die Gallup-Studie klar ergeben. Das Homeoffice wird bleiben und ein wichtiger Bestandteil für die Arbeitgeberattraktivität sein. Attraktive Arbeitgeber schaffen Raum, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sowie Selbstwirksamkeit zu leben, und fördern dies über eine entsprechende Unternehmenskultur und mehr Verantwortlichkeit für die Einzelne oder den Einzelnen und die Gemeinschaft.
Zusammen ist man weniger allein mit dem Stress, wir müssen nur mit- und füreinander agieren, im gesamten Unternehmenskontext. Denkt mal drüber nach.