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Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Warum wir über digitale Ethik sprechen müssen

Group 11 8 min Lesezeit   |   07.04.2022

Bitte beachten Sie, dass sich die Aktualität der Inhalte immer auf das Veröffentlichungsdatum bezieht.

Group 20

Autor

Arne Gels
VIACTIV Krankenkasse

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser? Warum wir über digitale Ethik sprechen müssen

Group 11 8 min Lesezeit   |   07.04.2022

Bitte beachten Sie, dass sich die Aktualität der Inhalte immer auf das Veröffentlichungsdatum bezieht.

VIACTIV Krankenkasse
Group 20

Autor

Arne Gels

Die Digitalisierung hat Einzug gehalten in die Arbeitswelt – unwiderruflich. Die letzten zwei Jahre haben auch den letzten daran zweifelnden Unternehmensleitungen gezeigt, dass sich die Arbeitswelt verändert und Zusammenarbeit neu gedacht werden muss. Für einige dieser Führungskräfte waren diese Ad-hoc-Erfahrungen einschneidend bis überfordernd, andere betrachten sie lieber als endliche Übergangsregelung und sehnen das „zurück zur Normalität“ herbei. Grundsätzlich ist jedoch allen insgeheim bewusst, dass es ein Zurück kaum geben wird. Zeit, die Entwicklungen Revue passieren zu lassen und zu bewerten.

#remotework und #homeoffice hatten gute Chancen, zu den (Un-)Wörtern des Jahres zu avancieren. Und genau in dieser differierenden Betrachtungsweise steckt viel Wahrheit, die wir bei Betrachtung der schönen neuen Arbeitswelt voller Flexibilität, Eigenverantwortlichkeit und Work-Life-Balance im Auge behalten sollten. Die Vorteile, die aus der notgedrungenen Verlagerung der Arbeitsplätze für Mitarbeitende entstanden sind, überwiegen in der Bewertung. Flexiblere Arbeitsplatzgestaltung bedeutet für viele Mitarbeitende schlicht, weniger Aufwand zur Arbeitsstelle zu gelangen und mehr Zeit. Anstelle des in vollen Verkehrsmitteln mit einzukalkulierenden Verspätungen zu sitzen oder mit dem PKW im Stop-and-go und mit Schrecken vor dem notwendigen Tankstopp zum Arbeitsplatz zu fahren, lässt man auf dem kurzen Weg vom Bett zum Arbeitsplatz den Kaffee durchlaufen. Ja, das ist überspitzt dargestellt, trifft jedoch in vielen Fällen den Kern. Doch bedeutet diese Ersparnis tatsächlich mehr Zeit für die Mitarbeitenden?

Ein Grund, warum auch im Vorfeld skeptische Arbeitgeber sich von Remote Work dauerhaft überzeugen lassen, liegt sicherlich daran, dass die letzten zwei Jahre gezeigt haben, dass Mitarbeitende im Homeoffice tatsächlich sogar mehr Arbeitszeit investieren, als vorher. Bettina Karsch, mittlerweile HR Direktorin Europe bei Vodafone, stellte als Personalvorständin von Vodafone Deutschland schon früh fest, dass unter Remote Work bei Vodafone effizienter gearbeitet wird. Sie kündigte bereits 2020 an, die Büroarbeit im Unternehmen völlig neu zu organisieren und die Homeoffice-Zeit dauerhaft auf drei Tage umzustellen. Herrschte bis vor der Pandemie in vielen Unternehmen noch die Devise: „Es ist besser die Mitarbeitenden ‚unter Aufsicht‘ zu haben, damit man kontrollieren kann, ob sie auch tatsächlich arbeiten“, haben viele mittlerweile erkannt, dass in den meisten Fällen der direkte Zusammenschluss von Arbeitsplatz und Wohnraum die Trennung der sogenannten Work-Life-Balance erschwert und die Erreichbarkeit eher steigert. Wenn wir den Arbeitsplatz die ganze Zeit vor Augen haben, ist die Trennschärfe nicht mehr gegeben.

Nachhaltigkeit funktioniert nur richtig, wenn alle darauf einzahlen und die Wirkung für die Gemeinschaft spürbar ist

Und spätestens an dieser Stelle sollten Arbeitgeber achtsam sein. Denn eines haben wir auch ausmachen können, die Belastung der Mitarbeitenden ist in den letzten Jahren immens gestiegen und die Auswirkungen der Pandemie haben diesen Effekt noch einmal verstärkt. Für eine gewisse Zeit kann man Belastungsgrenzen überschreiten und es spricht für die Mitarbeitenden, dass sie für die Unternehmen und in ihrer Rolle in herausfordernden Zeiten Verantwortlichkeit gezeigt haben. Doch es muss dann auch wieder Zeiten der Entspannung geben, um neue Kräfte aufzubauen, endlos vorhanden sind diese nicht. Kontinuierliche Überlastung mindert mit der Zeit deutlich die Leistungsfähigkeit und kann zum – im schlimmsten Fall langfristigen – Ausfall führen. Damit ist keinem geholfen.

Achtsame Arbeitgeber erkennen die Signale und setzen klare Regeln für die neue flexible Arbeitswelt auf. Signale sind auch in der digitalen Welt die entscheidenden Messpunkte für den Weg und können positive wie negative Folgen mit sich bringen. In diesem Kontext drängt sich dann für mich die Frage nach der digitalen Ethik auf. Denn, der Digitalisierung und Ihrer Transparenz sei Dank, so mancher Arbeitgeber und so manche Mitarbeitenden wussten die Signale für sich und ihr Verständnis von der Zusammenarbeit zu gut zu deuten.

Die Teams-Ampel als Kontrollorgan der modernen Arbeitswelt

Digitale Zusammenarbeit in Teams findet meist mit Softwarelösungen statt. ‚Microsoft Teams‘ ist sicherlich eine der gängigsten Lösungen. Um ortsunabhängiges Zusammenarbeiten zu gestalten, ist es wichtig, zu wissen, wann eine Kollegin bzw. ein Kollege verfügbar ist, schließlich kann ich nicht mal eben kurz im Büro vorbeischauen.

Logischer Lösungsansatz der Technik: Eine kleine Ampellogik, die anzeigt, ob jemand gerade am Rechner und frei ist (grün), den Rechner gerade nicht aktiv nutzt (gelb) oder terminlich verhindert ist (rot).
Logische Schlussfolgerung für manche Führungskraft: Ich kann kontrollieren, ob meine Mitarbeitenden arbeiten. So wird oft insbesondere der gelbe Status von Führungskräften eher kritisch bewertet: Wer den Rechner länger nicht aktiv bedient hat, kann folglich auch nicht arbeiten und kümmert sich sicher um private Dinge. Und auch die Mitarbeitenden wissen die Statustransparenz zu nutzen. Statuslampe grün – egal zu welcher Uhrzeit – da kann man doch schnell noch seine Anliegen klären und weitergeben. Damit steigt der Druck für diejenigen, die auch Verantwortlichkeit für ihr Umfeld aufbringen müssen und die die flexiblere Zeitgestaltung durch Remote Work in Zeitdruck versetzt.

Schöne digitale Arbeitswelt – Transparenz kann auch den Druck erhöhen

Daher ist es wichtig, dass Arbeitgeber Spielregeln aufsetzen für das digitale Zusammenarbeiten. Arbeitszeit bleibt Arbeitszeit und Freizeit bleibt Freizeit und beides sollte ausreichend Raum haben – Raum zur Trennung. Diese Trennung, das haben zwei Jahre Pandemie gezeigt, braucht klare Grenzen für das Wohlbefinden und damit nachhaltiges positives Zusammenarbeiten. Die moderne Arbeitswelt kann und sollte mit den gegebenen Möglichkeiten flexibler gestaltbar sein – allerdings nur da, wo zum einen möglich und zum anderen für alle Seiten vorteilhaft. Sobald dieses zu Lasten eines der Beteiligten führt, sollten die Spielregeln angepasst werden. Flexibilität und Transparenz dürfen kein Freifahrtschein sein, den digitalen Status als Kontrollorgan walten zu lassen. Daher gehört zur neuen Unternehmenskultur meiner Betrachtung nach auch zwingend eine digitale Unternehmenskultur, bzw. eine digitale Werteorientierung – ähnlich der Social Media Guidelines, die viele Unternehmen für ein stimmiges Außenbild einführen – die klar vorgeben, wie, wann und wo digitale Zusammenarbeit stattfindet, endet und Ihre Pause verdient. Im Sinne aller Beteiligten.

In einer immer globaleren Arbeitswelt werden Zeitgrenzen fließender und damit der Druck, präsent und aktiv zu sein, größer – mindestens für diejenigen, die Verantwortlichkeit zeigen (wollen). Gefühlt ist die Zahl der Meetings deutlich gestiegen, die Terminkalender voll und die eigentliche Arbeit wird nicht weniger. Die digitale Meetingkultur braucht deutlich Regeln und Strukturen, damit sie wieder auf ein zielführendes Maß zurückgeführt werden kann. In Meetingräumen im Unternehmen vor Ort gibt es meist einen Meetingcodex – es wird Zeit, diesen auch digital einzuführen und publik zu machen, um den Druck für alle Beteiligten zu reduzieren.

Die Zusammenarbeit der Zukunft fordert mehr Gemeinschaft: Mehr gemeinschaftliche Abstimmung anstelle von Minderheitsentscheidungen, mehr gemeinschaftlichen Ausgleich anstelle von Arbeitsüberlastung und mehr gemeinschaftliche Verantwortlichkeit anstelle von hierarchischer Kontrolle.

Verantwortlichkeit zieht ihren Erfolg nicht aus der Kontrolle oder Anwesenheit

Gerade Letzteres haben wir aus der erzwungenen Mobilisierung von Arbeitsplätzen doch wohl lernen können: Verantwortlichkeit zieht ihren Erfolg nicht aus der Kontrolle, sondern dem entgegengebrachten Vertrauen. Unternehmen sollten also weiter Vertrauen in die Mitarbeitenden stecken, dieses wurde meines Erachtens vielfach in der letzten Zeit zurückgezahlt – und die Mitarbeitenden sollten den Signalen Ihres Körpers vertrauen. Wer vertraut, der kann seinen Blickwinkel verändern, kann den Fokus von Kontrolle auf Achtsamkeit umstellen. Dieser einfach klingende Wechsel wird sich vielfältig und nachhaltig positiv auswirken und – da schließt sich der Kreis – spielt damit erneut wieder der Thematik der Verantwortlichkeit zu. In der Achtsamkeit zeigen und leben wir (Eigen-) Verantwortlichkeit.

Also schauen Sie als Arbeitgeber achtsam auf Ihre Mitarbeitenden und setzen Sie in der Führungskultur auf mehr gemeinschaftliche Verantwortlichkeit und ausreichend Abstand, um die Kreativität, Motivation und Identifikation im Arbeitsalltag sowie im Konflikt zwischen work und life hoch halten zu können. Schaffen Sie Angebote, die Mitarbeitende unterstützen, herausfordernde Zeiten zu meistern und zugleich Eigenverantwortlichkeit leben zu können. Gesunde Ernährung, mentale Fitness und klassisches betriebliches Gesundheitsmanagement spielen nicht nur dem Wohlbefinden der Mitarbeitenden in die Karten, mit den richtigen Ansätzen und über den Aspekt der Selbsterfahrung stärken sie auch das Verantwortungsbewusstsein der Mitarbeitenden – für sich selbst und die Kolleginnen bzw. Kollegen. Und auch Mitarbeitende sollten statt Kontrolle auf Vertrauen setzen, mindestens was den eigenen Körper angeht. Wir versuchen, diesen stets zu kontrollieren und über ihn zu bestimmen. Doch sollten wir ihm mehr vertrauen und auf seine Signale hören. Auch hier zählt die gegenseitige Verantwortlichkeit für nachhaltige Zusammenarbeit.

Dass es sich positiv auf die eigene Persönlichkeit auswirken kann, Verantwortlichkeit zu zeigen, verdeutlicht auch die unerfreuliche und klar zu verurteilende aktuelle weltpolitische Lage, die wohl von einer einzelnen egozentrischen Persönlichkeit hervorgerufen wurde. Trotz hoher Belastung und Einschränkungen der letzten zwei Jahre ist die Hilfsbereitschaft und das Engagement für die Ukraine durch die Gesellschaft unglaublich hoch. In der Freizeit und nach der Arbeit engagieren sich viele Menschen für Geflüchtete, helfen aktiv durch Aufnahme und Betreuung von selbigen oder indem sie als Taxifahrer zur Überführung in sichere Gebiete fungieren. Viele Menschen sammeln Spenden im Umfeld und/oder unterstützen dabei, diese in Richtung Ukraine zu befördern. Und jeder kleine Erfolg dabei verschafft positive Bestätigung in einer Situation, die ansonsten nur Fassungslosigkeit und Hilflosigkeit in diesen Menschen hervorruft. Die Ukraine ist auf Hilfe angewiesen. Es ist rührend, wie viele bereit sind, dafür über Ihre Grenzen zu gehen.

Als Arbeitgeber besteht hier die Möglichkeit, soziale Verantwortung zu zeigen, Stichwort: Corporate Social Responsibility

Geben Sie Mitarbeitenden Zeit, sich zu engagieren. Es stärkt die Arbeitgebermarke, die Identifikation und schafft Zeit für ein Thema, dass (zur Zeit) wichtiger ist als alles andere: der Schutz des menschlichen Lebens. Wenn andere wie die russische Regierung die Ethik mit Füßen treten, ist es wichtig, dieser wieder aufzuhelfen. Nehmen Sie Belastung von den Schultern, die gesellschaftliche Verantwortlichkeit zeigen und tun Sie Gutes. Auch für Ihre Verantwortlichkeit als Arbeitgeber. In vielen Unternehmen ist es bereits länger üblich, dass Mitarbeitende 1–3 Tage pro Jahr bekommen, in denen sie sich sozial engagieren können – ohne das dort am Ende die Unternehmen Nachteile ereilen. Wer weniger kontrolliert und mehr vertraut, wird durch Engagement belohnt. Denken Sie mal drüber nach.

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