„Gesundheit first“ – ein Spruch, den man immer öfter hört. Zumeist im Businesskontext, wenn jemand die Teilnahme am Meeting krankheitsbedingt absagt: „Du, volles Verständnis, Gesundheit geht vor.“
Gut so. Doch steckt auch tatsächlich gelebte Wahrheit hinter der Aussage? Immer noch gibt es erstaunliche Zahlen, was den Arbeitseinsatz im Krankheitsfall angeht, den sogenannten Präsentismus. Durch die Pandemie und ein daraus resultierendes überwiegendes ‚remote work‘ sogar stärker als zuvor. Aus einer aktuellen Studie „Arbeiten 2022“ geht hervor, dass jeder zehnte Deutsche trotz Corona-Infektion zur Arbeit geht – 9 Prozent davon bei mildem Verlauf sogar ins Büro. Überwiegend wird im (generellen) Krankheitsfall jedoch von zu Hause gearbeitet. Die Möglichkeit, im Homeoffice tätig zu sein, spielt hier eine wesentliche Rolle. So zeigte eine Studie der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) bereits vor der Pandemie, dass Beschäftigte, die häufig von zuhause arbeiten, auch eher Präsentismus zeigen. Die Grenze zwischen Arbeit und Privatem verschwindet, die damit verbundenen möglichen Folgen habe ich auch in anderen Kolumnen hier bereits angeführt.
Wenn man diese Erkenntnis einmal genauer betrachtet, wird deutlich, dass das Motto „Gesundheit first“ doch nicht so gelebt wird, wie oft gesprochen. Doch gerade mit Blick auf eben die Gesundheit zeigt sich, dass Präsentismus bei einem eher schlechten Gesundheitszustand langfristig das Risiko von Herz-Kreislauf-Erkrankungen erhöht. Weitere Studien weisen demnach auf einen Zusammenhang zwischen Präsentismus und Langzeit-Arbeitsunfähigkeit hin. Der Produktivitätsverlust in diesen Krankheitstagen ist dabei noch gar nicht berücksichtigt.
Reden ist Silber, Handeln ist Gold
Wir sollten gerade aus Sicht des Unternehmens also nicht nur reden, sondern handeln. Ich meine, es ist Zeit, das Gesundheitsmanagement neu zu denken. Jobrad, Mitgliedschaft im Fitnessstudio, Gesundheitsbudget – alles tolle Sachen, die man in einen gezielten Kontext setzen kann. Doch bei genauer Betrachtung – da schaut gerne mal in euer Unternehmen – belegen die Zahlen der Inanspruchnahme dieser gesundheitsförderlichen Angebote, dass sie nicht zu einer Veränderung beitragen. Jobräder haben im Durchschnitt eine Durchdringungsquote in der Belegschaft von unter 25 Prozent, für die Fahrt zur Arbeit anstelle des PKW dient es äußerst selten. Geförderte Fitnessstudio-Mitgliedschaften erreichen in fast allen Fällen nur diejenigen nachhaltig und wirksam, die bereits affin sind und hier eine finanzielle Einsparung für sich erkennen. Insgesamt, so muss man konstatieren, wird vermeintliches Gesundheitsbudget in vielen Fällen am Ende nicht für eine bessere, gezieltere und nachhaltigere Für- und Vorsorge der Belegschaft genutzt.
Nicht gut so. Doch wie erreiche ich hier ein anderes Verständnis und eine bessere Kenntnis der Anforderungen und Möglichkeiten? Ich meine, das funktioniert nur über gut gesetzten Kontext und die klare Adressierung von (Eigen-)Verantwortlichkeiten sowie – und da sind die Unternehmen in der Pflicht – die Förderung der Möglichkeiten. Und bei letzterem zählt: Weniger Gießkanne, mehr Nutzerzentrierung.
Remote work hat sich verändert
Während der ersten Phasen der Pandemie haben viele ihren Alltag verändert, durch wegfallende Anfahrtszeiten und den Lockdown ergaben sich neue Möglichkeiten. Spazierengehen, Radfahren, Sport im Freien erhielten viel Zulauf. Logisch, gab es doch wenig Alternativen der Freizeitgestaltung und der Arbeitsplatz war, wenn möglich, zu Hause. Sich bietende oder bewusst eingeräumte Pausen zum Laufen, Radfahren oder für andere Aktivitäten wurden gut und gerne genutzt. Die Möglichkeiten waren da, schließlich waren Kleiderschrank, Badezimmer und alles Notwendige vor Ort. Über die Zeit ist davon nur verstärktes remote work geblieben. In vielen Fällen ohne die bewussten Pausen, sondern eher mit weniger Pausen. Und wieder weniger Bewegung. Ein gutes Beispiel ist da die kurze Welle der Walk&Talks während der Pandemie, vielleicht erinnert ihr euch noch. Der Tipp war: Mal raus aus den vier Wänden, Telkos mal bewusst im Freien durchführen und dabei den Kopf frei bekommen, durch Bewegung, frische Luft und eine andere Umgebung. Es war eine kurze Welle, heute spricht kaum noch jemand darüber, der normale Alltag bestimmt wieder das Handeln.
Nachhaltig ist vieles, was wir in Zeiten der Reduzierung bewusst eingeführt haben, nicht. Trotz zahlreicher eingesparter Berufswege durch remote work. Nachhaltigkeit bedeutet, die Bedürfnisse der Gegenwart so zu befriedigen, dass die Möglichkeiten zukünftiger Generationen nicht eingeschränkt werden. Mit der aktuellen Entwicklung von remote work gehen wir eher in eine andere Richtung. Ich teile da die Meinung von Stefan Klebert, Vorstandsvorsitzender des Anlagenbauers GEA, dass wir mit den aktuellen Entwicklungen zum Homeoffice über das Ziel hinausschießen. Nicht nur, weil Teamkultur im Büro wichtig ist. Stefan Klebert spricht davon, dass viel Innovationskraft so auf der Strecke bleibt – „Innovation kommt nicht von grübelnden Genies im Studierzimmer“ – und wir Gefahr laufen, immer mehr Egozentriker zu entwickeln. Ich sehe es nicht ganz so drastisch, glaube hier noch an den sozialen Antrieb eines jeden, teile jedoch die Sorge. Und ich sehe noch eine andere Gefahr: Studien zeigen, dass gerade Homeoffice dazu geführt hat, dass sich Stress und Belastung bei Mitarbeitenden deutlich erhöhen, weil die Arbeit dauerpräsent ist und dadurch schnell noch einmal Termine oder Aufgaben nach Feierabend oder in Pausen – wenn überhaupt eine bewusste Pause gemacht wird – angegangen werden, weil man ja quasi eh am Arbeitsplatz ist. Der aktuell gesteigerte Wunsch von Arbeitnehmenden nach immer mehr Homeoffice, tatsächliche Dauerbelastung durch dauerhafte Präsenz der Arbeit im privaten Umfeld, Präsentismus, fehlende persönliche Bindung zu Kolleginnen und Kollegen durch bis zu 100 Prozent remote work … klingt nicht nach einer positiven Entwicklung im Sinne von Nachhaltigkeit.
Und klingt auch nicht nach einer achtsamen und förderlichen Entwicklung für das betriebliche Gesundheitsmanagement.
Neu denken heißt, aktuelle Entwicklungen aufzunehmen
Zeit also, betriebliches Gesundheitsmanagement neu zu denken und den aktuellen Entwicklungen anzupassen. Wenn ich mit Unternehmen spreche, ist – neben dem Recruiting und der Russlandkrise – eine aktuelle Herausforderung, die Unternehmenskultur aufrecht zu erhalten und dafür die Leute zurück ins Büro zu holen. Das schaffe ich meines Erachtens nur nachhaltig, wenn die Mitarbeitenden wieder den Mehrwert erkennen, ins Büro zu gehen. Und da kämpfen wir vor allem erst einmal gegen die gewonnene Bequemlichkeit, vieles ohne großen Zusatzaufwand von zu Hause aus regeln zu können. Es gilt also, gerade die Vorteile des persönlichen Kontakts in den Mittelpunkt zu setzen. Und ich bin überzeugt, hierzu kann neben den oftmals positiven Erfahrungen aus Meetings vor Ort im Gegensatz zu Videokonferenzen auch ein gezieltes Gesundheitsmanagement beitragen. Gerade in dem Kontext braucht es für langfristige Erfolge mehr Gemeinschaft. Alleine – das zeigt sich nicht nur jedes Jahr bei den Neujahrsvorsätzen – gehen viele Vor- und Ansätze baden. Hier kann man gut den Teamgedanken nutzen. Die jährlichen gut besuchten Firmenläufe, gemeinsames soziales Engagement & Co im Businesskontext zeigen: Die Bereitschaft ist generell da. Und auch hier wurde während der Pandemie in der Ausnahmesituation vieles ins Leben gerufen, das positiv aufgenommen wurde – virtual Yoga, virtual Teamcooking, virtual Charity Runs etc. –, jedoch schnell wieder abgeebbt ist. Meines Erachtens, weil dann doch im gemeinsamen virtuellen Erlebnis die persönliche Gemeinschaft fehlte und die Begeisterung vor dem Bildschirm nicht richtig übergesprungen ist. Da liegen doch Chancen für eine Kombination von ‚back to the office‘ und betriebliches Gesundheitsmanagement gemeinsam verantwortlich leben. Nur die wieder stattfindenden Firmenevents werden hier nicht die gewünschten Erfolge erzielen, Kontinuität ist der Treiber. Und mit den Themen Sport, Stressmanagement, Ernährung und Achtsamkeit ergeben sich zahlreiche Möglichkeiten, das Thema zu bespielen – im wahrsten Sinne des Wortes.
Benefits für die Work-Life-Balance
Ich zum Beispiel bin überzeugt, dass ein Angebot an Mitarbeitende wie eine Duschoption im Büro in Zukunft ein relevantes Benefit sein wird. Aus persönlichem Befinden und weil damit ein sich veränderndes Mitarbeitendenverhalten gefördert wird. Die Vorteile des Homeoffice ins Berufsleben übertragen und vor allem Themen wie Jobrad auch als Jobrad lesbar gestalten. Eigenerfahrung meiner seit April gestarteten Challenge, die 84 km ins Büro und zurück mehr mit dem Fahrrad zu fahren als mit dem Auto: Wenn ich ankomme, tut eine Dusche an heißen Sommertagen nicht nur mir ganz gut, sondern sicher auch meinem Umfeld. Und weiteres Learning: Durch meine Challenge habe ich einige in meinem Umfeld ‚angesteckt‘ – vermehrt diejenigen, die ebenfalls eine Duschoption hatten. Das Schöne: Fast alle berichten von positiven Erfahrungen und dem guten Gefühl, wenn man sich erst überwunden hat.
Für positive Veränderung braucht es also den passenden Rahmen und Influencer. Und die richtige Strategie. Das ist wie bei den Benefits. Die sind auch nur nachhaltig wirksam, wenn sie in Korrelation zur Zielgruppe und dem Unternehmen stehen.
Im betrieblichen Gesundheitsmanagement daher bitte nicht nur in losgelösten Einzelmaßnahmen denken, sondern langfristig strategisch. ‚Enabled‘ eure Mitarbeitenden durch die richtigen Rahmen, Gesundheitsmanagement wirklich zu leben. Dann ist es ein nachhaltiges Benefit und ein Mehrwert für Unternehmen und Mitarbeitende gleichermaßen. Denn so positiv sich Präsentismus flüchtig aus Arbeitgebersicht liest, umso schwerwiegender können die Folgen für ihn sein.
Fragt da gerne mal eure Krankenkasse des Vertrauens. Und sprecht mit euren Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartnern über langfristig strategische Ausrichtungen und nicht Einzelmaßnahmen. Für mehr Nachhaltigkeit.